Wiedergutmachung von Transvestiten und Damenimitatoren nach 1945

Wiedergutmachung von Transvestiten und Damenimitatoren nach 1945

von Julia Noah Munier und Karl-Heinz Steinle

Anlässlich des internationalen Transgender Day of Remembrance (TDOR), der seit Ende der 1990er Jahre am 20. November alljährlich von unterschiedlichen Aktivist_innen-Gruppen begangen wird, möchten wir aus der Perspektive der historischen Forschung zu LSBTTIQ ein bisher nicht beachtetes Thema in den Fokus unseres Blogs rücken: Die NS-Verfolgung und die anschließenden Entschädigungs- bzw. Wiedergutmachungsbemühungen von Transvestiten bzw. Damenimitatoren im deutschen Südwesten nach 1945.1 Über die Erforschung der Lebenswege und Lebensschicksale von Transvestiten und Damenimitatoren liegen bisher kaum wissenschaftliche Arbeiten vor.

Und weil über das Leben von Herrenimitatorinnen und Transvestitinnen noch weniger bekannt ist, sollen die hier vorgestellten Quellen Anlass sein, im Zuge der Forschung zu LBTTIQ-Lebensweisen auch ihnen und ihren Lebenswegen weiter nachzuspüren, um ihre Geschichten zu erzählen. Sollten Sie uns dabei helfen können, freuen wir uns sehr über Ihre Hinweise.

Es fehlen immer noch „systematische Untersuchungen über Kontinuitäten und Brüche“ im Umgang mit Transvestiten und Damenimitatoren von der Weimarer Republik zur NS-Zeit.2 Die Erforschung ihrer vereinzelten Auseinandersetzungen und Kämpfe mit den Institutionen des NS-Nachfolgestaates ist vermutlich auch deshalb ein bisher kaum beachtetes Forschungsfeld. Zugleich können die Quellen zur „Wiedergutmachung“ nationalsozialistischen Unrechts als Quellen zur Geschichte des Dritten Reichs aufschlussreich sein und zur Erforschung ihrer Lebenswege und Lebensschicksale beitragen.3

Logik der Behörden versus individuelle Lebenswirklichkeit

Anspruchsberechtigtes Opfer der NS-Verfolgung im Sinne des Bundesentschädigungsgesetz (BEG) vom 29.06.1956 war, „wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden“ ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in seinem beruflichen oder in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat.4 Das BEG, das rückwirkend zum 1. Oktober 1953 in Kraft trat, schloss bestimmte Gruppen von Entschädigung aus. So wurden u.a. der Gruppe der Sinti und Roma, denjenigen, die im NS als asozial galten oder den nach den §§ 175 und 175a verurteilten Männern Entschädigung und Rehabilitation versagt, außer sie konnten Gründe des BEG geltend machen. Auch Transvestiten und Damenimitatoren konnten vor dem Hintergrund einer in ihrer Geschlechtsidentität und/oder Genderperformance begründeten Verfolgung keinen direkten Anspruch geltend machen. Damit könnte dieser Blog hier bereits enden. Wo kein Anspruch, da kein_e Kläger_in, möchte man meinen.

Ein einheitlicher Umgang und eine einheitliche Verfolgung etwa von Transvestiten und auch Damenimitatoren ist für die Zeit des NS-Terrors von 1933 bis 1945 nicht nachzuweisen. Im Zuge deutlicher Liberalisierungstendenzen war es in der Weimarer Republik für Transvestiten möglich, behördliche Anerkennung zu erlangen, indem sie sogenannte Transvestitenscheine ausgestellt bekommen konnten. Rainer Herrn zufolge ist eine Änderung der Strafbestimmungen in der NS-Zeit für das Tragen der Kleidung des anderen Geschlechts nicht belegt, allerdings wurde allgemein restriktiver verfahren.5 „[…] Transvestismus, das Tragen der Kleidung das anderen Geschlechts, war auch in der NS-Zeit nicht per se strafbar, wie auch das Leben in der Rolle des anderen Geschlechts juristisch nicht sanktioniert wurde.“6 Entsprechend schwierig war es nach 1945 Entschädigung für erlittenes Unrecht zu beantragen. Allerdings standen insbesondere Transvestiten unter dem Verdacht homosexuell zu sein und oftmals auch unter dem Verdacht der Prostitution nachzugehen. Als solche waren sie ab 1935 einer deutlich verschärften Strafverfolgung ausgesetzt, die sich mit der Gründung der „Reichszentrale zur Bekämpfung der Homosexualität und Abtreibung“ (1936) und dem Erlass des Reichssicherheitshauptamtes vom Juli 1940 deutlich verschärfte.7 Homosexuelle Männer waren in der jungen Bundesrepublik weiter von Strafverfolgung bedroht. Der von den Nazis 1935 verschärfte § 175 hatte in der Bundesrepublik bis zur Strafrechtsreform von 1969 unverändert Gültigkeit. Durch den § 175 RStGB verfolgte homosexuelle Männer wurden erst im Jahr 2002 gesetzlich rehabilitiert. Wenn die in der NS-Zeit nach § 175 verfolgten Personen jedoch bereits rehabilitiert wurden – ließe sich fragen, warum dann dieser Blog? Nicht alle Transvestiten und Damenimitatoren waren homosexuell und/oder durch den § 175 RStGB betroffen.

Im Blick auf die im Vorfeld dieses Blogs untersuchten Quellen erhalten wir einen Einblick in das Leben mutiger Persönlichkeiten, die sich möglicherweise auch gegenüber dem NS-Regime kritisch äußerten und die es schafften, ihre NS-Verfolgung, Gefängnisstrafen, KZ-Androhung und schwerste körperliche und seelische Misshandlungen zu überleben. Sie vermochten es, nach 1945 nicht „nur“ „weiterzuleben“, sondern hatten bei größter finanzieller Not und möglicher erneuter Strafverfolgung den ungewöhnlichen Mut, vom Rechtsnachfolgestaat des NS-Regimes, der jungen Bundesrepublik und ihren Rechtsinstitutionen, für ihr erfahrenes Leid Entschädigung zu fordern.8

Eindrücklich tritt in diesen Quellen zu Tage, mit welcher Ausdauer sie ihr Ziel verfolgten. In dem Bemühen, bei den sogenannten Wiedergutmachungsbehörden Entschädigung für erlittenes Unrecht zu erlangen, wurden sie erneut gedemütigt.

Anhand dieser Quellen wird zudem deutlich, wie schwierig es für Transvestiten und Damenimitatoren war, Wiedergutmachungsansprüche, beispielsweise aufgrund politischer Verfolgung durch das NS-Regime, geltend machen zu wollen. Ihre Vorgeschichte und damit ihre Geschlechts- und/oder sexuelle Identität drohte innerhalb der Verfahren in den Mittelpunkt gerückt zu werden. Im Zusammenhang mit ihren Lebensweisen aufgetretene Vorverurteilungen ließen sie ggf. als kriminell erscheinen, was eine Ablehnung ihrer Entschädigungsbemühungen wahrscheinlicher werden ließ.

Fotografien als erste Spur

Michael M. beantragte in den 1950er Jahren Entschädigung. Seine Karriere als Damenimitator9 begann vor über 100 Jahren, noch in den Nullerjahren des 20. Jahrhunderts. Seine Profession brachte den 1889 in einer schwäbischen Kleinstadt geborenen Damenimitator in mehr als zwanzig Jahren Bühnenerfahrung vermutlich unter anderem nach Berlin, Wien, Zürich und Budapest. Dabei verdiente er mit seinen Auftritten als „Hilmar Damita“, einer weiblichen Kunstfigur, offenbar genug um sich selbst zu vermarkten und professionelle Show- bzw. Autogrammfotografien anfertigen zu lassen, die er an sein Publikum verkaufte. Der Name „Hilmar Damita“ verweist in einer Kombination des männlichen Vornamens „Hilmar“ und des irritierenden „Damita“ auf den hinter der androgynen Figur durchscheinenden Damenimitator. Zugleich klingt in dieser Namensbildung etwas an von der geheimnisumwobenen, erotisierenden Aura einer Mata Hari (1876-1917), die noch vor dem ersten Weltkrieg als Nackttänzerin ihr Publikum in Paris begeisterte. An sie erinnern einige Posen auf den von Hilmar Damita erhaltenen Fotografien deutlich.

Hilmar Damita 1910er oder 1920er Jahre. Polizeifotografie einer Autogrammkarte. Quelle: StA Ludwigsburg, F 215, Zug. 2017/066, 641

Diese kürzlich im Staatsarchiv Ludwigsburg gefundenen Fotografien aus den 1910er und 1920er Jahren lassen trotz der Spuren eines verstrichenen Jahrhunderts etwas aufscheinen von der Figur „Hilmar Damita“, die Michael M. auf der Bühne performte. Er vermochte es, sein Publikum mit einem Show-Programm zu faszinieren, das auf Figuren der sexuell anziehenden Orientalin oder der Spanier- oder Südamerikanerin rekurrierte, etwa indem er mit seinen halblangen, gelockten Haaren mit Fächer und dunklem, mit Pflanzendekor versehenen Flamencokleid aufreizend vor der Kamera posierte.10 Michael M. war mit der Figur Hilmar Damita schon im Ersten Weltkrieg als Damenimitator aktiv, denn es gibt Abbildungen vom Fronttheater.11 Eine weitere Fotografie zeigt „Hilmar Damita“ im Brustportrait vor schwarzem Hintergrund hell hervortretend. Die Bühnenfigur Hilmar Damita trägt üppige Ohrringe, einen hellen mit Federn und Diadem versehenen Kopfschmuck und um den Hals eine auffällig drapierte Perlenkette. Mit ihren dunkel geschminkten lidstrichumrahmten Augen blickt sie verführerisch in die Kamera. Ihr durch den Lippenstift betonter Mund ist dabei leicht geöffnet. Hilmar Damitas Oberkörper ist auf diesem Foto nackt und nur im Ansatz wird die flache, vielleicht auf den Darsteller im Damenkostüm verweisende Brust zu sehen gegeben. Ein Clou, der die Androgynität der Figur subtil betont und diese zusätzlich erotisiert. Als Forscher_innen hatten wir großes Glück, als wir auf diese Fotos stießen. Jemand hatte die Fotografien ausnahmsweise mit einem Namen und dem Geburtsdatum versehen, weshalb wir Michael M.s Lebensweg rekonstruieren konnten.

NS-Zeit: Von Flucht, Kastration und Entlassung oder von München nach Hamburg und zurück

Aus weiteren ausfindig gemachten Quellen zu Michael M. geht hervor, dass ihm das Auftreten als Damenimitator vermutlich im Jahr 1932 oder 1933 untersagt wurde und er sich daraufhin im Schaustellergewerbe und als Theaterstatist durchschlug. Zu dieser Zeit geriet der damals in München lebende Damenimitator und Artist laut einer eidesstattlichen Erklärung eines Freundes in das Visier der Nationalsozialisten, da er sich, so geht es aus der Akte hervor, wahrscheinlich u.a. regimekritisch äußerte, sich möglicherweise weigerte in die NSDAP einzutreten u.a.12 Zugleich wird M. in diesen Jahren auch erstmals wegen § 175 verurteilt und im Jahr 1934, kurz vor der Verschärfung des § 175 durch die Nationalsozialisten, zu zwei Wochen Gefängnis verurteilt. Eine weitere Verurteilung erfolgte im Jahr 1939 wegen „Vergehen gegen § 175“ zu einem Jahr Gefängnis.13 Auf Anraten eines Freundes geht Michael M. nach Ende der Haftstrafe nach Hamburg, eine Stadt, die er von früheren Bühnenauftritten kannte. Kaum dort angekommen, wurde der einschlägig vorbestrafte M. in einer öffentlichen Bedürfnisanstalt in St. Georg von zwei Kriminalbeamten in Zivil aufgegriffen und im September 1943 vom Amtsgericht Hamburg aufgrund von „fortgesetztem Vergehen gegen § 175 StGB, zum Teil auch in Tateinheit mit öffentlicher Erregung eines Ärgernisses und Beleidigung“ zu einem Jahr und sechs Monaten Gefängnis verurteilt.14 Noch vor dem Urteilsbeschluss fällt er, wie sein Rechtsanwalt später bekunden wird, unter Androhung von KZ-Haft die Entscheidung, sich „freiwillig“ „entmannen“ zu lassen.15 Hingewiesen sei an dieser Stelle auf den im Juli 1940 im Rahmen der sogenannten vorbeugenden Verbrechensbekämpfung durch Heinrich Himmler erwirkten Erlass, der die ihm unterstellte Kripo beauftragte „in Zukunft alle Homosexuellen, die mehr als einen Partner verführt haben, nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis in Vorbeugehaft zu nehmen.“16 Die Dauer der Vorbeugungshaft war unbegrenzt. Sie wurde ausschließlich in Konzentrationslagern verbüßt.17 Michael Ms. Rechtsanwalt schreibt 1959 über die Vorgänge in der Hamburger Strafanstalt: „Er sollte automatisch in das KZ. [sic.] eingeliefert werden. […] Der Antragssteller wurde vor die Alternative gestellt, entweder sofort in das KZ überstellt zu werden oder sich entmannen zu lassen. Seit diesem Eingriff ist der Antragssteller eine völlig veränderte Persönlichkeit. Er leidet an endogenen Depressionen schwerer Art. Ihm sind damit sämtliche Antriebsimpulse genommen, sodass er nur noch von Komplexen gequält dahinlebt.“18 Der schwerwiegende Eingriff wurde an Michael M. im November 1944 in dem für zahlreiche derartige Eingriffe inzwischen bekannten Zentrallazarett der Untersuchungshaftanstalt Hamburg-Stadt vorgenommen.19 Nach dem Eingriff wurde Michael M. am 20. Dezember 1944 bedingt begnadigt aus dem Strafvollzug entlassen und ging zurück nach München.20

Nachkriegszeit: Von München über Stuttgart, Frankfurt und zurück oder von Verfolgung, Weiterleben und neuem Mut

Michael M. überlebte das Ende des Zweiten Weltkriegs und die Wirren der direkten Nachkriegszeit in Kempten im Allgäu. Drei Jahre, von 1950 bis 1953, lebte er unter ärmlichen Bedingungen in einem Wohnwagen an verschieden Orten in Stuttgart-Bad Cannstatt. Da er seinen Wohnsitz am 31.12.1952 in Stuttgart hatte, dem Stichtag des Bundes-entschädigungsgesetztes (BEG),21 ergibt sich hieraus die spätere Zuständigkeit der Entschädigungsbehörde des Landes Baden-Württemberg.22 In seiner Stuttgarter Zeit wurde er von den hiesigen Ordnungsbehörden aufgegriffen und als Damenimitator erkennungsdienstlich behandelt.23 Ob dies weitere Ermittlungen und/oder ein Verfahren nach sich zog, ist nicht bekannt. Er zog nach Frankfurt a.M., wo er rund drei Jahre lebte und wo er im Alter von 64 Jahren u.a. in der Kolibri-Bar und im Club The Queen vermutlich wieder auftrat.24 Vielleicht arbeitete M. aber auch, wie viele ältere Damenimitatoren, an der Bar oder an der Garderobe, vielleicht machte er sogar die Conference. Michael M. ging im Jahr 1956, 67-jährig, unverheiratet, kinder- und mittellos zurück nach München. Dort stellte er beim Bayerischen Landesentschädigungsamt im Dezember 1956 erstmalig einen Antrag auf Entschädigung gemäß des BEG. Für die durch den NS verfolgte, seelisch und körperlich schwer geschädigte Person beginnt eine mehrjährige bürokratische Odyssee, in die hier ein kurzer Einblick gewährt werden soll.

Von gescheiterten Entschädigungsbemühungen und erneuten Demütigungen

Michael M. meldete im Antrag u.a. Entschädigungsansprüche an für Schaden an Freiheit, Schaden an Körper und Gesundheit, Schaden durch Zahlungen von Sonderabgaben, Geldstrafen, Bußen und Kosten, sowie Schaden im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen. Zwei Jahre nach seinem Erstantrag stellt das Bayerische Landes-entschädigungsamt fest, dass es für den Antrag des Damenimitators nicht zuständig ist, womit dieser im Dezember 1958 an die zuständige Entschädigungsbehörde des Landes Baden-Württemberg in Stuttgart weitergeleitet wird. Um den deutlich verzögerten Prozess zu beschleunigen verfasst M. im Januar 1959 ein handschriftliches Schreiben an den Präsidenten der Wiedergutmachungsbehörde in Stuttgart, in dem er aufgrund seines hohen Alters – 1959 wurde er 70 Jahre alt – um schnellstmögliche Bearbeitung bat. Hierin heißt es: „Ich lebe seit Jahren als arbeitsunfähiger Mensch durch das 3te Reich [sic.] in äußerster Not und beziehe Wohlfahrtsunterstützung.“25 Weiter schreibt er: „Ich wende mich persönlich an Sie, da der Herr Bundeskanzler Dr. Adenauer durch den Rundfunk in der Weihnachtszeit darauf hinwies, daß die alten Leute u. Schwerbeschädigten sofort einen Vorschuss in der Wiedergutmachung in Anspruch nehmen können. Ich wende mich persönlich an Sie, Herr Präsident, damit ich in meinen alten Jahren wenigstens als Mensch ein paar Jahre leben kann.“26 Sein Antrag wird anschließend vorrangig bearbeitet. Da Antragssteller nachweispflichtig sind und sein Antrag als unbegründet eingestuft wird, reicht der von ihm beauftragte Rechtsanwalt ein Begründungs-schreiben zum Wiedergutmachungsantrag nach. In diesem versichern eine Freundin und ein ehemaliger Schauspielerkollege und Freund an Eides statt, dass Michael M. Gegner des Nationalsozialismus war. Sein Kollege konstatiert: „Seine Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus ist wesentlich auch darauf zurückzuführen, dass M. bis 1933 […] als Schauspieler eine Damenrolle gespielt hat, und zwar als Imitator. […] 1933 haben die Nazis solche Rollen verboten. Damit war für M. die Berufsausübung vollständig zerstört. […] Ihn hat dieses Verbot außerordentlich stark getroffen. Er ist damit nie fertig geworden.“27

Der Antrag wird durch einen Bescheid des Landesamtes für die Wiedergutmachung Stuttgart im April 1959 zurückgewiesen, da M. nicht aus Gründen des § 1 BEG verfolgt worden sei.28 In der Begründung des Ablehnungsbescheides heißt es: Der Antragssteller ist „[…] ausschließlich wegen Vergehens gegen § 175 StGB verurteilt worden. Politische, rassische, religiöse oder weltanschauliche Gründe haben für die Verurteilung und Entmannung des Antragsstellers keinerlei Bedeutung gehabt. Auch das Verbot der Berufsausübung als Damen-Imitator ist nicht aus den Gründen des § 1 BEG ergangen.“29

Michael M. klagt gegen diese Entscheidung und das Land Baden-Württemberg, vertreten durch das Landesamt für die Wiedergutmachung, Stuttgart. Er fordert finanzielle Entschädigung aufgrund des erlittenen Schadens im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen sowie aufgrund des erlittenen Gesundheitsschadens. Außerdem beantragt er einstweilige Kosten-befreiung und Beiordnung seines Anwaltes als Pflichtanwalt. Dieser Antrag wird in einem Beschluss des Landgerichts Stuttgart zurückgewiesen.30 Sein Anwalt reicht gegen diesen Beschluss Beschwerde ein, woraufhin der Sachverhalt dem Oberlandesgericht Stuttgart vorgelegt wird und die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen wird. In der Begründung heißt es:

„Den Vorinstanzen ist darin beizupflichten, daß der Kläger nicht aus den diskriminierenden Gründen des § 1 BEG verfolgt worden ist. […] Eine Verfolgung begründet auch nicht der Umstand, daß der Kläger entmannt worden ist. Wie das Strafurteil […] vom 3.9.1943 ergibt […], wurde er wegen homosexueller Betätigung verurteilt und anschließend mit seinem Einverständnis entmannt. Wenn er hierzu vorträgt, er habe sein Einverständnis nur erteilt, um einer KZ-Haft zu entgehen, so kann dies als richtig unterstellt werden. Denn selbst wenn es so gewesen sein sollte, hätte die dem Kläger angedrohte KZ-Haft nicht auf einem diskriminierenden sondern auf einem kriminellen Grund beruht, so daß auch insoweit die Voraussetzungen von § 1 BEG nicht gegeben wären.“31

Gemessen an der Geschwindigkeit der bürokratischen Abläufe überschlagen sich die Ereignisse im Frühjahr 1960. Das Landgericht Stuttgart (II. Entschädigungskammer) setzt den Termin zur endgültigen Verhandlung an. Der Rechtsanwalt von Michael M. legt vermutlich infolge des OLG-Beschlusses sein Mandat nieder. Zum abschließenden Verhandlungstermin erscheinen weder der Anwalt noch M. selbst. Am 1. Juni 1960 entscheidet die II. Entschädigungskammer des Landgerichts Stuttgart in ihrem Urteil für eine Abweisung der Klage. Im Urteil heißt es erneut: Auf die Verfolgung eines Damenimitators treffe die Bestimmung des § 1 BEG nicht zu. Das Auftreten als Frau stelle keine Äußerung einer Weltanschauung und bezugnehmend auf ein Urteil des Landgerichts Celle aber auch keine geistige Zielsetzung im Sinne einer künstlerischen Richtung dar. Am 9. April 1959 wird sein Entschädigungsantrag vollständig zurückgewiesen. Er verbringt seinen Lebensabend im Versorgungsheim für Barmherzige Brüder Johannisbrunn, Niederbayern. Michael M. verstirbt zehn Jahre später, im April 1969 in München, ohne entschädigt worden zu sein.

Toni Simons Leben in der NS-Zeit

Eine erkennungsdienstliche Ganzkörperfotografie von 1950 zeigt Toni Simon als resolute Person mit grauen zurückgebunden Haaren, Seidentuch und schwarzem Mantel, die einen wütenden Blick in die Kamera wirft.

Toni Simon. Erkennungsdienstliche Aufnahme der Kripo Stuttgart 1950. Quelle: StA Ludwigsburg, F 215, Zug. 2017/066, 641

Das Foto ist unter dem Begriff „Transvestismus“ in den Polizeiordnern im Staatsarchiv Ludwigsburg zu finden, die wir in einem früheren Blog-Beitrag vorgestellt haben. Die Person Toni Simon (eigentlich Anton Simon, 1887-1979), Stuttgarter Original, offen lebender Transvestit, ist einigen unser Leser_innen inzwischen ein Begriff. (Siehe Blog-Beitrag von Julia Noah Munier) Simon galt als einer der namenhaftesten Transvestiten seiner Generation (Wolfert 2010: 36), betrieb in den frühen 1930er Jahren das legendäre Café 4711 in der Essener Segerothstraße und gab nach eigenen Aussagen auch eine Zeitschrift für Transvestiten heraus. Weitere Bekanntheit erlangte Simon durch die Broschüre Mann oder Frau? Das Schicksal einer Abenteurer-Natur, die um 1933 erschien. Autorin war die in Heilbronn lebende Schriftstellerin und Astrologin Elsbeth Ebertin (1880-1944), die darin Toni Simons Lebens- und Leidensweg vorstellte und zwei Fotografien von Simon veröffentlichte.32 Über Toni Simons Verbleib in der NS-Zeit war bisher wenig bekannt. Einen Teil dieser Lücke können wir nun durch eine erhaltene Akte des Landesamtes für die Wiedergutmachung Baden-Württemberg schließen. Auf Grund dieser Akte ergeben sich in Bezug auf Simons Lebensweg zahlreiche weitere Fragen.

Aus der Akte geht hervor, wie bewegt Simons Leben nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten verlief: Demnach wurde sie 1933 gezwungen, ihre Tätigkeit als Gastronomin in Essen zu beenden. Bei einer Hausdurchsuchung wurden auch Bücher über Sexualwissenschaft im Wert von 200 RM beschlagnahmt. Anschließend war sie mittellos, wurde in München wegen Stadtstreicherei verurteilt und ging nach der Haftentlassung von 1933 bis 1936 – wie sie angibt – nach Spanien ins Exil. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland – 1936 bricht in Spanien der Bürgerkrieg aus – wohnte sie in Nordwürttemberg und arbeitete als Monteur_in.

Aufgrund eines Urteils durch das Sondergericht Stuttgart vom 23.10.1937 wurde sie wegen „Heimtücke“ (politischer Beschimpfung nach § 2 Abs. 1 u. 2 des Ges. v. 20.12.1934) zu einem Jahr Gefängnisstrafe verurteilt.33 Aus der Quelle geht hervor, dass Toni Simon sich offenbar über die politische Situation, das NS-Regime und die NS-Elite abwertend äußerte. So muss sie laut Urteilsbegründung im Frühjahr 1937 in der Wohnstube einer ihr bekannten Familie, in der auch deren Angestellte zugegen waren, gesagt haben: „An der Regierung sind Idioten und Lausbuben, die Regierung versteht nichts, das sind nur Idioten, die kommen seiner Lebtag [sic.] nicht weit und eines Tages hört es auf.“ Laut Abschrift des Urteils des „Sondergerichts für den Oberlandesgerichtsbezirk Stuttgart“ schimpfte Simon wiederholt über die Mitglieder der NS-Regierung und bezeichnete diese u.a. als „Idioten und Hampelmänner“. Eine Rundfunkrede des Reichspropagandaministers Josef Goebbels kommentierte Simon so: „Der Idiot kann leicht sprechen, er wird ja dafür bezahlt.“34

Wurde Simon aufgrund dieser Aussagen denunziert? Oder war es auch ihre Vorliebe, die Kleidung des (vermeintlich) „anderen Geschlechts“ zu tragen, die Simon anecken ließ? Wussten die Denunziant_innen überhaupt davon? Warum genau war Simon zuvor nach Spanien ins Exil gegangen? Wo lebte sie dort und wer waren ihre Unterstützer_innen?

Wiedergutmachungsantrag von Toni Simon. Quelle: StA Ludwigsburg, EL 350 I Bü 7194

Aus dem Antrag auf Wiedergutmachung und den beiliegenden Unterlagen geht hervor, dass Simon die Strafe aus dem Jahr 1937 in der Strafanstalt Rottenburg am Neckar verbüßte. Am 11. Mai 1938 wurde sie aufgrund des „Gesetzes über die Gewinnung von Straffreiheit“ vom 30.4.1938 amnestiert und ihre Reststrafe in drei Jahre Bewährung umgewandelt. Nach ihrer Entlassung arbeitete Simon in einem metallverarbeitenden Betrieb. Dort, so Simon am 2.5.1952 auf einer öffentlichen Sitzung der Entschädigungskammer II des Landgerichts Ludwigsburg, sei ihr „ein Missgeschick passiert“, worüber sie sich geärgert habe. Daraufhin habe sie den Arbeitsplatz verlassen und sei in der Stadt einen Kaffee trinken gegangen. Dann sei die Gestapo gekommen und habe sie verhaftet.35 Über die genaueren Umstände dieser Ereignisse gibt es keine weiteren Angaben und auch Unterlagen zum folgenden Prozess fehlen. Simon wurde erneut verurteilt und Ende 1939 im Polizeigefängnis Welzheim inhaftiert, wo sie sechs Monate verbringen musste.36

In welcher Stadt wurde Toni Simon verhaftet? Was war der Grund der Verhaftung? War es ein polizeibekannter Treffpunkt für Homosexuelle oder Transvestiten? Ging Simon möglicherweise der Prostitution nach? Die Zeit in der Männerstrafanstalt in Rottenburg am Neckar sowie im Polizeigefängnis Welzheim dürfte für einen Transvestiten äußerst schwierig gewesen sein. War Toni Simons Geschlechtsidentität anderen Insassen bekannt? Wie schaffte sie es dort zu überleben? Hatte sie Verbündete?

Toni Simons Wiedergutmachungsantrag

Toni Simons Akte löst eine Reihe von Fragen aus zu ihren komplexen und nicht immer leicht nachvollziehbaren Lebensumständen und zu ihren Überlebensstrategien, wozu sicherlich Maßnahmen zur Verschleierung zählten. Die Akte zeigt aber deutlich, dass die Wieder-gutmachungsbehörde in keinem Fall bereit war, Sachverhalte zugunsten der Antragstellerin auszulegen.

Für die Zeit in der Strafanstalt in Rottenburg und im Polizeigefängnis Welzheim sowie für die drei Jahre in Spanischer Emigration, beantragt Toni Simon, die nach 1945 in bescheidenen Verhältnissen in einem Wohnwagen im Hussarenhof (Besigheim), in Schwaben lebte, im April 1949 Wiedergutmachung (siehe die Abbildung Wiedergutmachungsantrag Toni Simon). Der Antrag ging am 30. April 1949 bei der Landesbezirksstelle für Wiedergutmachung, Stuttgart in der Gerokstraße 37 in Stuttgart-Ost ein.37 Vier Tage zuvor war das erste zoneneinheitliche Entschädigungsgesetz erlassen worden, „[…] das im August 1949 durch besondere Landesgesetze in den Ländern der amerikanischen Zone verkündet wurde. Diese Landesgesetze wurden nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 125 des Grundgesetzes als Bundesrecht übernommen.“38

Das Verfahren von Toni Simon zieht sich bis in das Jahr 1952, da Simon immer wieder Widerspruch gegen die gerichtlichen Entscheidungen einlegt. Ihr Rechtsanwalt erreicht immer wieder Sperrfristen, in denen das Verfahren ruht. Es liegt an Simon, neue Beweise zu erbringen, was für sie jedoch nicht zu bewerkstelligen ist.

Zunächst wird ihr Antrag auf Entschädigung für die erlittene Gefängnishaft abgewiesen. Als Begründung dienen Simons Vorstrafen, die teilweise aus den Jahren vor 1933 stammen. Diese allerdings – das erschließt sich wiederum über die Schilderung von Simons Lebenslauf in der Ebertin-Broschüre – resultieren aus der Gastronomie-Tätigkeit von Toni Simon in Essen. Sie bestehen größtenteils aus Verurteilungen wegen Kuppelei, illegalem Schankbetrieb und Beleidigung der Polizeibeamten und können alle auch als Resultat der Repression gegen Transvestiten gelesen werden. Am 16. Oktober 1951 schreibt die Behörde: „Sie sind bereits vor der Machtübernahme oftmals gerichtlich bestraft worden, darunter verschiedentlich wegen Beleidigung. Wenn Sie daher auch einmal mit den damaligen Machthabern in Konflikt gerieten, so können wir doch nicht annehmen, dass dies auf eine achtbare und konsequente Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zurückzuführen war. Bei dieser Sachlage war Ihr Antrag abzulehnen.“39 Außerdem heißt es: „[N]ach der ständigen Rechtsprechung der Wieder-gutmachungsgerichte [ist] erforderlich, dass die gegen den Nationalsozialismus gerichtete politische Überzeugung ernsthaft, klar und sittlich fundiert [sic!] war […].“40 Aus dem Schreiben des öffentlichen Anwaltes für die Wiedergutmachung geht unmissverständlich hervor, dass nur wer „sittlich fundiert“ und zugleich über längere Zeit gegen den Nazismus engagiert war, mit einer Entschädigung rechnen konnte.

Was ihre Haft im Polizeigefängnis Welzheim betrifft, gelingt es Simon, eine eidesstattliche Erklärung von einem ehemaligen Mithäftling zu bekommen. Darin bestätigt Albert D., wohnhaft im Kreis Leonberg, dass Toni Simon vom November 1939 bis zu seiner eigenen Entlassung am 28. Februar 1940 mit ihm zusammen im Polizeigefängnis Welzheim inhaftiert war. Über den Grund der Inhaftierung gibt er an, nichts zu wissen, auch nicht, wie lange Toni Simon dort inhaftiert war. Zusätzlich bestätigt ist dies durch den Bürgermeister seines Dorfes. Selbst diese eidesstattliche Versicherung wird als Beleg für Simons Haft im Polizeigefängnis Welzheim nicht anerkannt, da „[…] der Betreffende nicht angeben kann, wie lange sich Simon nach seiner Entlassung noch im dortigen Lager befand.“41 Auch dagegen legt Simon Widerspruch ein, es kommt am 2. Mai 1952 zu der bereits erwähnten öffentlichen Anhörung in Anwesenheit von Toni Simon, bei der sie offenbar eine letzte Sperrfrist erreichen kann. Am 13. Juni 1952 wird das Ruhen des Verfahrens angeordnet, um Toni Simon die Möglichkeit zu gewähren, Nachweise für ihre zweite Verurteilung im Jahr 1939 zu erbringen. Die Akte enthält keine weiteren Dokumente mehr. Offensichtlich endet damit das Verfahren.

Im Wiedergutmachungsverfahren ist an keiner Stelle ein Hinweis auf Toni Simon als Transvestit zu finden. Sie wird durchgängig als „er“ und „Herr Simon“ bezeichnet. Hat Toni Simon ihre geschlechtliche Identität bewusst verschleiert, um sich dadurch Chancen im Verfahren zu erhalten? Dies wäre umso erstaunlicher, als dass sich Toni Simon spätestens ab 1950 auch in Stuttgart als stadtbekannter Transvestit in der Öffentlichkeit bewegte und sich für (damals noch nicht so genannte) LSBTTIQ engagierte: „Wir waren nicht die ersten, die in Baden-Württemberg aktiv wurden. Wenn Du die einschl. [gemeint ist: einschlägige] Zeitungen von anfangs der 50er Jahre durchsiehst, stößt Du sicher bei den Anzeigen ab und zu auf den Namen Toni Simon. Er (Sie) war der erste, der nach dem Krieg in Stuttgart etwas aufgezogen hat. Schon 1950 organisierte er Zusammenkünfte im ‚Weißen Rössl‘ in der Schwabstraße. 1951 verlegte er die Treffpunkte ins Restaurant ‚Zur Hopfenblüte‘ Nähe Marienplatz. Dieses Lokal wurde bald darauf in ‚Restaurant Hohenstaufen‘ umbenannt. Doch auch hier gingen die Zusammenkünfte weiter, samstagabends war damals immer Tanz. Toni war Transvestit und hatte praktisch immer Frauenkleider an. Man kann es kaum glauben, aber er hatte im Berufsleben eine nicht ganz einfache Arbeit. Er prüfte die Hochspannungsmasten und strich sie auch bis zur obersten Spitze an.“42

Aus diesem Hinweis ergibt sich die Frage, ob es möglicherweise das Engagement von Toni Simon war, das zur negativen Einschätzung ihres Antrages führte. Oder war das Engagement sogar die Ursache für die erkennungsdienstlichen Ermittlungen, im Zuge derer das weiter oben abgebildete Foto entstand? Wie verliefen diese Ermittlungen? Gingen sie bis Sommer 1952 und führten sie deshalb zu einem Abbruch von Toni Simons Bemühungen um Wiedergutmachung?

Auch wenn aktuelle Tendenzen in der bundesdeutschen Rechtsprechung etwa zur Anerkennung eines dritten Geschlechts im historischen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7. November 2017 Hoffnung machen, sind TTIQ-Personen in der bisherigen Debatte um Rehabilitierung und Entschädigung nicht oder nur sehr selten berücksichtigt worden. Die Historikerin Kirsten Plötz plädierte auf der Tagung „Verfolgung – Diskriminierung – Emanzipation. Homosexualität in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg“ vom 26.-28.05.2017 in der Akademie für politische Bildung Tutzing für eine Anerkennung der Verfolgung lesbisch liebender Frauen in der Bundesrepublik und für ihre Rehabilitierung und Entschädigung. Ein wichtiger Impuls, der, wie diese Quelle zeigt, auch im Hinblick auf TTIQ-Personen gehört werden sollte.

Machen Sie mit!

Wissen Sie etwas über das mutige Leben von Damenimitatoren und Transvestiten im deutschen Südwesten vor und nach 1945? Kannten Sie Hilmar Damita? Oder Toni Simon? Sind Ihnen ähnliche Fälle bekannt?

Auch wenn es vermutlich mehr professionelle Damen- als Herrenimitatoren gab, standen den Damenimitatoren Herrenimitator_innen zur Seite und den Transvestiten Transvestit_innen. Auch ihre Geschichten wollen wir gemeinsam mit Ihnen schreiben. Haben Sie z.B. Hinweise auf historische Herrenimitatoren in der Region des heutigen Baden-Württemberg?

Treten Sie mit uns in Kontakt!

Quellen

Staatsarchiv Ludwigsburg

Staatsarchiv Hamburg

Literatur

Grau, Günter (2011): Lexikon zur Homosexuellenverfolgung, 1933-1945. Institutionen – Kompetenzen – Betätigungsfelder. Mit einem Beitrag von Rüdiger Lautmann. Münster: LIT Verl.

Häußermann, Martin Carl (2004): Quellen zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in den baden-württembergischen Staatsarchiven. In: Bickhoff, Nicole (Hg.): Unterlagen der Nachkriegszeit als Quellen zur Geschichte des Dritten Reichs. Vorträge eines quellenkundlichen Kolloquiums im Rahmen der Heimattage Baden-Württemberg am 13. Oktober 2001 in Bad Rappenau. Stuttgart: W. Kohlhammer, S. 15-24.

Herrn, Rainer (2013): „Transvestismus in der NS-Zeit“. Zeitschrift für Sexualforschung 2013:26; S. 330-371.

Hockerts, Hans Günter (2003): Wiedergutmachung. Ein umstrittener Begriff und ein weites Feld. In: Hockerts, Hans Günter; Kuller, Christiane (Hg.): Nach der Verfolgung. Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in Deutschland? Wallstein Verl. (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte, 3), S. 7-33.

Jellonnek, Burkhard (1990): Homosexuelle unter dem Hakenkreuz. Die Verfolgung von Homosexuellen im Dritten Reich. Paderborn: Schöningh. (Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart).

Nieden, Susanne zur (2003): Unwürdige Opfer: Die Aberkennung von NS-Verfolgten in Berlin 1945 bis 1949. Berlin: Metropol.

Rosenkranz, Bernhard; Bollmann, Ulf; Lorenz, Gottfried (2009): Homosexuellen-Verfolgung in Hamburg 1919-1969. Hamburg: Lambda.

Rosenkranz; Bernhard; Lorenz, Gottfried (2005): Hamburg auf anderen Wegen. Die Geschichte des schwulen Lebens in der Hansestadt. Hamburg: Lambda.

Rothmaler, Christiane (1999): „Von ‚haltlosen Psychopathinnen‘ und ‚konstitutionellen Sittlichkeitsverbrechern‘. Die Kriminalbiologische Untersuchungs- und Sammelstelle der Hamburgischen Gefangenenanstalten 1926 bis 1945. In: Kaupen-Haas, Heidrun, Saller, Christian (Hg.) (1999): Wissenschaftlicher Rassismus. Analysen einer Kontinuität in den Human- und Naturwissenschaften, S. 257-303.

Sternweiler, Andreas (2000): „Er ging mit ihm alsbald ein sogenanntes ‚Festes Verhältnis‘ ein“. Ganz normale Homosexuelle. In: Müller, Joachim; Sternweiler, Andreas (Hg.): Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen. Berlin: Rosa Winkel, S. 58-78.

Wolfert, Raimund (2010): Zu schön um wahr zu sein. Toni Simon als „schwule Schmugglerin“ im deutsch-dänischen Grenzverkehr. In: Lambda-Nachrichten 32 (1), S. 36–39.

1  Die Begriffe „Transvestit“ bzw. „Damenimitator“ sind sowohl Selbst- als auch Fremdbezeichnungen. Ob diese von den historischen Personen auch als Selbstbezeichnungen verwendet wurden bleibt offen. Vielleicht wählten sie keine oder nur zeitweilig einer der genannten Termini. Sicherlich bezogen sie sich nicht auf den jüngeren aus dem anglo-US-amerikanischen stammenden Begriff Transgender. Die erhaltenen Quellen weisen darauf hin, dass diejenigen mit einem männlichen Geschlechtseintrag im Geburtenregister zeitweilig oder dauerhaft „Damenbekleidung“ als Ausdruck ihrer Identität wählten. Der TDOR soll Anlass sein ihre Geschichten zu erzählen, zu erinnern und sichtbar zu machen.

2  Vgl. Herrn 2013, S. 331.

Vgl. hierzu Häußermann, Martin Carl (2004): Quellen zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in den baden-württembergischen Staatsarchiven. In: Bickhoff, Nicole (Hg.): Unterlagen der Nachkriegszeit als Quellen zur Geschichte des Dritten Reichs. Vorträge eines quellenkundlichen Kolloquiums im Rahmen der Heimattage Baden-Württemberg am 13. Oktober 2001 in Bad Rappenau. Stuttgart: W. Kohlhammer, S. 15-24.

4   BEG § 1 zit. n Hockerts 2003, S. 15.

Vgl. Herrn 2013, S. 330.

6  Herrn 2013, S. 331.

7  Vgl. Grau 2011, S. 317.

8  Das erfahrene Leid, Verfolgung und Tod lassen sich nicht wieder gutmachen. Zur Problematik des Konzeptes „Wiedergutmachung“ und zur Verwendung im Kontext politischer Anerkennung von Schuld und Verbrechen gegenüber den Opfern siehe den informativen Artikel der Bundeszentrale für politische Bildung. https://www.bpb.de/apuz/162883/wiedergutmachung-in-deutschland-19451990-ein-ueberblick?p=all, 20.11.2017. Ferner siehe hierzu und zum Folgenden: Hans Günter Hockerts (2003): Wiedergutmachung. Ein umstrittener Begriff und ein weites Feld. In: Hockerts, Hans Günter; Kuller, Christiane (Hg.): Nach der Verfolgung. Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in Deutschland? Göttingen: Wallstein, S. 7-33. Hockerts, Hans Günter (2001): Wiedergutmachung in Deutschland. Eine historische Bilanz 1945–2000. In: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 49 (2001), S. 167-214; Goschler, Constantin (2005): Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945. Göttingen: Wallstein.

9  Er selbst wählte im Erstantrag die Bezeichnung Artist. Sein Anwalt und seine Freunde bezeichnen ihn als Damenimitator. Vgl. StAL EL 350 I 39244.

10  Nicht nur Michael M. und die Niederländerin Margaretha Zelle machten sich diese Figur zu eigen, sondern auch in der bildenden Kunst im 19. Jahrhundert und der klassischen Moderne wurde in problematischer Weise auf tradierte Imaginationen des Orients als sinnlich rekurriert. Vgl. hierzu Wienand, Kea (2015): Nach dem Primitivismus? Künstlerische Verhandlungen kultureller Differenz in der Bundesrepublik Deutschland, 1960-1990. Eine postkoloniale Relektüre.

11  Wir danken Jens Dobler für diesen Hinweis. Hilmar Damita wurde auf einer Dobler bekannten Postkarte auch beworben als „HILMAR DAMITA – der bekannte Verwandlungs-Imitator. Neuzeitig – eigene Art. Bringt Stimmung – Humor. Erstklassige Aufmachung – Prima Repertoir. Garantiert die Zierde eines jeden Programms.“ Von Jens Dobler stammt zudem der Hinweis auf eine Person oder Figur mit dem Namen „Fredy Hilmar“, von dem ebenfalls Show-Postkarten existierten und der Michael M. bzw. der Figur Hilmar Damita durchaus ähnlich sieht. Ob es sich dabei um eine weitere Figur von Michael M. handelte oder ob es eine andere Person war, die als Fredy Hilmar performte, ist unklar.

12  Leider sind im Staatsarchiv München bisher keine weiteren Akten zu Michael M. auffindbar.

13  In Bezug auf Transvestismus weiter relevant ist der § 360 RStGB (grober Unfug). Vgl. hierzu Herrn 2013, S. 331.

14  Vgl. StA Hamburg 213-11_6109-43, Urteil des Amtsgerichts Hamburg vom 3.9.1943. Der Tatbestand „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ (§ 183 RStGB) könnte darauf hinweisen, dass sich M. hier in Damenbekleidung in der Öffentlichkeit bewegte. Allerdings geht aus dem Urteil des Amtsgerichtes Hamburg hervor, dass dies nicht der Fall war, sondern die Verurteilung aufgrund der §§ 183 und 185 RStGB auf die Suche nach Sexualpartnern in der Bedürfnisanstalt zurückzuführen ist.

15  M. stellte zwei Anträge in der ersten Jahreshälfte des Jahres 1944.

16  BAK RD 19/28-15-, f. 169.zit. n. Jellonnek 1990, S. 139.

17  Vgl. Grau 2011, S. 316.

18  StAL E 350 I Bl. 45, Rechtsanwaltsschreiben an das Landesamt für die Wiedergutmachung Stuttgart vom 26.03.59, S. 3.

19  Vgl. auch StA Hamburg 242-4-673. Vgl. zu sogenannten freiwilligen Kastrationen im Zentrallazarett auch Rosenkranz; Bollmann; Lorenz 2009, S. 61. u. 69. Sowie auch Rothmaler 1999 S. 287. Vgl. zur Kastrationen von nach § 175 und § 175a verfolgten Männern auch Grau 2011. S. 173-176.

20  Vgl. StAL EL 350 I 39244.

21  Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG).

22  Vgl. BEG § 185.

23  StAL Zugangsnummer 2017/066, Bd. I.

24  Vgl. StAL EL 350 I 39244. Zur Kolibri-Bar auch Schiefelbein 1992, S. 60. Schiefelbein, Dieter (1992): Wiederbeginn der juristischen Verfolgung homosexueller Männer in der Bundesrepublik Deutschland. Die Homosexuellen-Prozesse in Frankfurt am Main 1950/51. In: Zeitschrift für Sexualforschung 5, S. 59-73.

25  StAL EL 350 I 39244. Brief Michael M. an das Landesamt für die Wiedergutmachung Stuttgart, vom 14.01.1959.

26  Ebd.

27  Vgl. StAL EL 350 I 39244. Eidesstattliche Erklärung von Max R., 29.11.1957. Nicht alle Damenimitatoren erhielten Aufführungsverbot. Vgl. hierzu Rosenkranz; Lorenz 2005, S. 127. 1933 lief der bekannte UFA-Film „Viktor und Viktoria“ (R: Reinhold Schünzel). Zum Verbot und zur Verfolgung von Transvestismus vgl. auch Herrn 2013 sowie Sternweiler 2000.

28  Zustellung des Bescheids am 14.04.1959.

29  StAL EL 350 I 39244. Bl 49. Bescheid des Landesamtes für die Wiedergutmachung Stuttgart vom 09.04.1959, S. 3.

30  Eigentlich Armenrecht zur besseren Verständlichkeit hier aber Prozesskostenbeihilfe genannt. StAL EL 350 I 39244, Beschluss des LG Stuttgart, II Entschädigungskammer vom 13.08.1959.

31  StAL EL 350 I 39244, Beschluß des OLG Stuttgart vom 29.03.1960.

32  Elsbeth Ebertin (o.J. [um 1933]): Mann oder Frau? Das Schicksal einer Abenteurer-Natur. Altona, Dreizack-Verlag. Wir danken Raimund Wolfert von der Magnus-Hirschfeld Gesellschaft Berlin für die Überlassung einer Kopie.

33  Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz der Parteiuniformen vom 20. Dezember 1934.

34  Vgl. StAL EL 350 I 7194 Teilweise Abschrift des Urteils des Sondergerichts für den Oberlandesgerichtsbezirk Stuttgart vom 23.10.1937.

35  Vgl. StAL EL 350 I 7194.

36  Zum Polizeigefängnis Welzheim, das auch als „KZ-Welzheim“ bezeichnet wird, siehe Roland Maier (2013): Das Polizeigefängnis Welzheim (1935-1945). In: Bauz, Ingrid; Brüggemann, Sigrid, Maier, Roland (Hg.): Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern. Stuttgart: Schmetterling, S. 134-142.

37  StAL EL 350 I 7194.

38  Häußermann 2004, S. 19.

39  StAL EL 350 I 7194.

40  StAL EL 350 I 7194.

41  StAL EL 350 I 7194.

42  Schreiben von Walter Hettich aus Reutlingen, ehemaliges Mitglied der ‚Kameradschaft die runde‘ an Manfred Herzer, Schwules Museum Berlin vom 16.12.1987. Herv. i. Orig. Es befindet sich in der Sammlung „die runde“ im Schwulen Museum Berlin.

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