Erich Sch.: Von Landwirten, SA-Männern und falschen Gestapo-Agenten

Im Februar 1934 zeigte Leonhard S. seinen Arbeitgeber an. Leonhard S., mit seinen zwanzig Jahren noch minderjährig, und als Waise unter Obhut des Jugendamts Schopfheim, hatte seit Dezember 1933 für den Landwirt Erich Sch. gearbeitet, der einen Hof in Laufen bewirtschaftete. In der Woche vor der Anzeige, so sagte S. bei der Polizei aus, habe Erich Sch. in betrunken gemacht und missbraucht. Daraufhin verließ Leonhard S. seine Stellung und kam bei seiner Großmutter in Zell unter.

Der Polizei wurde der Missbrauchsfall zunächst nicht durch Leonhard S. angezeigt, sondern durch Mitglieder der örtlichen SA, der auch der beschuldigte Erich Sch. angehörte. Leonhard S. hatte gegenüber verschiedenen SA-Mitgliedern, die wie er Arbeiter in der Landwirtschaft waren, von dem Missbrauch gesprochen. Diese trugen die Geschichte an die lokale SA-Führung weiter, die sie schließlich der Polizei meldeten und somit das Verfahren ins Rollen brachten. Offensichtlich wogen in der lokalen SA homophobe Vorbehalte stärker als politische und sonstige Kameradschaft.

Die Anzeige zog ein ausführliches Verfahren nach sich, in welchem zahlreiche Zeugen und Zeuginnen vernommen wurden, um die Glaubwürdigkeit sowohl des Angeklagten als auch des Opfers Leonhard S. zu prüfen.

Erich Sch., der jegliche sexuelle Annäherung zwischen ihm und Leonhard S. bestritt, wurde von mehreren anderen Landwirten belastet, die aussagten, in der Vergangenheit habe sich Sch. ihnen ebenfalls in sexueller Absicht genähert.

Auf der anderen Seite fanden sich viele, die die Glaubwürdigkeit des Leonhard S. bezweifelten: so befanden etwa der Fürsorgeverband und zwei ehemalige Arbeitgeber von Leonard S., dieser sei arbeitsscheu und suche regelmäßig nach Möglichkeiten, seine Stellungen unter Vorwänden zu verlasse. Auch die Anzeige gegen Erich Sch., so argumentierte die Verteidigung, sei ein vorgeschobener Grund, seine Stellung zu verlassen.

Trotz allem befand das Gericht Leonhard S. als glaubwürdig und verurteilte Erich Sch. am 5. Juli 1934 zu einer Gefängnisstrafe von sieben Monaten. Die Aussagen anderer Männer, Sch. habe sich ihnen ebenfalls unsittlich genähert, dienten dabei als wichtiger Beweis. Das Gericht vermerkte in der Urteilsbegründung: „Diese ganzen Vorgänge zeigen, dass Sch[…] homosexuell veranlagt ist.“ Strafverschärfend wurde Sch. vorgehalten, dass er in einem Erziehungsverhältnis zum Fürsorgezögling Leonhard S. gestanden habe und damit „als Erzieher mit einem minderjährigen Schüler und Zögling unzüchtige Handlungen vorgenommen“ habe.

Leonhard S. wurde zu einer Haft von einem Monat verurteilt, galt er doch nach geltendem Recht als mitschuldig, da er sich zur Unzucht hatte missbrauchen lassen. Die Urteilsbegründung des Gerichts befand: „S[…] ist in einem Alter, in dem er den unsittlichen Anträgen des Sch[…] hätte Widerstand leisten können und müssen.“

Interessant ist der Zeitpunkt dieses Falls, lief er doch zeitgleich mit dem sogenannten Röhm-Putsch. Die Ermordung des offen homosexuell lebenden Röhm und der Führungsriege der SA war machtpolitisch motiviert und diente der NS-Führung dazu, eine unbequem werdende SA zu entmachten, gilt aber zugleich als Auftakt der des nationalsozialistischen Regimes, bisher geduldete Homosexualität in den eigenen Reihen auszumerzen.

Die Gerichtverhandlung im Fall Erich Sch. fand nur wenige Tage nach der Ermordung Röhms statt.

Die Öffentlichkeit hatte bis dahin nur wenig, unzusammenhängendes und widersprüchliches über die angeblichen Putsch-Pläne Röhms und seinen Tod aus den Medien erfahren. Für die Verhandlung gegen Erich Sch. spielten die Ereignisse um die SA keinerlei Rolle beziehungsweise kommen in den Gerichtsakten nicht zur Sprache.

Nach einem abgelehnten Revisionsantrag und einer gewährten Bitte um Strafaufschub, um die Ernte einzuholen, trat Sch. im Herbst 1935 seine Strafe im Justizvollzug an. Im März 1936 reichte ein Gnadengesuch ein: Sie sei allein nicht in der Lage, den Hof zu bewirtschaften, heißt es darin. Dem Gnadengesuch wurde stattgegeben, und Erich Sch. auf Bewährung entlassen.

Im Spätsommer des Jahres 1937 lernte der noch immer in Bewährung befindliche Erich Sch. in einem Gasthaus in Heitersheim Albert H. kennen. Bei einem Spaziergang nach dem Gasthausbesuch kamen Erich Sch. und Albert H. sich näher. Dieser hatte die Begegnung offensichtlich eingefädelt, um Erich Sch. zu ködern und eines homosexuellen Vergehens zu überführen, denn plötzlich, so Erich Sch. in seiner Vernehmung, habe Albert H. erklärt: „Ich weiß nun daß Sie homosexuell veranlagt sind. Hier ist die Geheime Staatspolizei, Sie sind verhaftet.“ So eines neuerlichen Vergehens nach § 175 beschuldigt, wurde Erich Sch. erneut für vier Monate verurteilt.

Albert H. übrigens arbeitete mitnichten für die Gestapo, sondern hatte sich wahrscheinlich einen Spaß daraus gemacht, sich als Polizeibeamter auszugeben – ein Spaß, der ihm teuer zu stehen kam: Das Gericht verurteilte ihn nicht nur auf Grundlage von § 175 (er hatte sich „zur Unzucht mißbrauchen lassen“), sondern auch noch wegen unbefugter Ausübung eines öffentlichen Amtes. Das Gericht hielt in der Urteilsbegründung fest: “ Bei der Strafzumessung hat man bei dem Angeklagten Sch. strafmildernd berücksichtigt, daß der Angeklagte H. ihn durch sein Verhalten soweit gebracht hat, in der genannten Weise seiner Veranlagung nachzugehen. […]

Der Angeklagte H. ist zwar noch nicht vorbestraft. Ihm ist es jedoch zuzuschreiben daß Sch. erneut rückfällig geworden ist; es mußte daher gegen ihn als der moralisch zumindest in gleicher Weise Schuldige, gleichfalls eine empfindliche Gefängnisstrafe ausgesprochen werden.“

Quelle: StA Freiburg A 25/1 593