Homosexuelle Netzwerke und Subkulturen

Homosexuelle Subkulturen in der Weimarer Republik

Schon seit der Kaiserzeit existierten in etlichen größeren deutschen Städten homosexuelle Subkulturen. Die weitaus meisten Angebote richteten sich an Männer. Es gab Lokale, Veranstaltungen und eigene Verbände für Homosexuelle. In der Weimarer Zeit wuchs die Zahl der Lokale im städtischen Raum an. Vor allem Berlin hatte den Ruf eines Eldorados für Homosexuelle und Transvestit_innen.

Kontaktanzeige aus der Freundin, Jg. 5, Nr. 5 (1929) Kontaktanzeigen waren vor allem in der Provinz, wo es keine oder nur wenig subkulturelle Strukturen gab, ein wichtiges Mittel für Transvestit_innen und für homo- und bisexuelle Frauen und Männer, Gleichgesinnte und potenzielle Partner_innen zu finden. Da die Zeitschriften überregional gelesen wurden, war es üblich, den eigenen Wohnort anzugeben, die Zuschriften liefen über den Verlag.

Kontaktanzeige aus der Freundin, Jg. 5, Nr. 5 (1929). Kontaktanzeigen waren vor allem in der Provinz, wo es keine oder nur wenig subkulturelle Strukturen gab, ein wichtiges Mittel für Transvestit_innen und für homo- und bisexuelle Frauen und Männer, Gleichgesinnte und potenzielle Partner_innen zu finden. Da die Zeitschriften überregional gelesen wurden, war es üblich, den eigenen Wohnort anzugeben, die Zuschriften liefen über den Verlag.

Der deutsche Südwesten war weit weg von Berlin und seinen vielen subkulturellen Angeboten. Das bedeutete jedoch nicht, hier hätte es keine homosexuellen und transvestitischen Treffpunkte gegeben. Vor allem aus Stuttgart ist einiges über das subkulturelle Leben der Weimarer Zeit bekannt: Treffpunkte für homosexuelle Männer waren hier das Lokal Zum Josefle in der Gutenbergstraße oder die Weinstube Lachenmaier in der Kasernenstraße. Lesbische Frauen trafen sich Anfang der 1930er Jahre im Restaurant Sonnenhof in der Rotebühlstraße. In der Zeitschrift Die Freundin wurde im Jahr 1932 gleich mehrmals in Anzeigen für diesen Club lesbischer Frauen geworben. Sowohl in Stuttgart als auch in Karlsruhe existieren Ortsgruppen des Homosexuellen-Verbands Bund für Menschenrecht, die sich regelmäßig trafen, in Karlsruhe etwa im Jahr 1924 jeden Samstagabend im Hotel zu den Goldenen Trauben in der Steinstraße. Und gerade für Menschen aus Baden lag der Weg in die Schweiz nah, existierten doch in Basel und Zürich homosexuelle und transvestitische Subkulturen, die auch Deutsche regelmäßig anzogen.

Homosexuelles Leben auf dem Land

Die Treffpunkte und Clubs waren als städtisches Phänomen allerdings nur ein Teil homosexuellen Lebens. Auf dem Land gab es solche Treffpunkte in der Regel nicht. Ungleich wichtiger waren für ländliche Gegenden die Homosexuellenverbände und wohl vor allem die Zeitschriften. Diese Zeitschriften konnten im Abonnement (und für einen Aufpreis im neutralen Umschlag) per Post bezogen werden. Das Schreiben der „Gemeinschaft der Eigenen“ von 1924 (StA Ludwigsburg  F 263 I St 50) zeigt: Verbände vernetzten Mitglieder aus der gleichen Gegend miteinander, indem sie auf Anfrage Adressen anderer Mitglieder herausgaben.

Zeitschriften ermöglichten nicht nur den Konsum homosexueller Inhalte und Bilder und damit eine gewisse Teilhabe an der subkulturellen Gemeinschaft, sondern schufen auch mit ihren Kontaktanzeigenrubriken die Möglichkeit, potenzielle Partner_innen aus der Region kennenzulernen.

Doch jenseits dieser spärlichen Angebote war homosexuelles Leben in kleineren Orten von Verstecken und Einsamkeit geprägt. So beschreibt es zumindest ein Artikel, der 1931 in der lesbischen Zeitschrift Garçonne erschien:

„Hat die Lesbierin nun vielleicht auch ein zeitweises Liebesglück erlebt, dessen Ende herangekommen ist, so wird sie, wenn überhaupt noch einmal, so doch schwerlich in kurzer Zeit einer neuen Freundin begegnen. In der großen Stadt findet man immer wieder andere Menschen, wenn eine Beziehung aus irgendwelchen Gründen beendet werden mußte, hier aber ist eine derartige Frau eine solche Einzelheit, daß es schon eines großen Zufalls bedarf, um ihr eine neue Gefährtin in den Weg zu führen. Und dann kann man doch vor allem nicht jeder Frau, mag sie auch dieselbe Veranlagung besitzen, etwas entgegenbringen. Also ist ihr Schicksal besiegelt. Es heißt Einsamkeit, es sei denn, daß sie die Ehe mit einem ihr gleichgültigen, ja widerlichen Manne aufnehmen will.“  Quelle: Garçonne 1931, zitiert in: Plötz, Kirsten (1999): Einsame Freundinnen? Lesbisches Leben während der zwanziger Jahre in der Provinz. Hamburg: MännerschwarmSkript-Verl.

Die homosexuelle Emanzipationsbewegung bis 1933

Mit dem Wissenschaftlich-Humanitären Komitee (WHK) um Magnus Hirschfeld entstand schon 1897 die erste Homosexuellenorganisation. Wenige Jahre später gründete Adolf Brand die Gemeinschaft der Eigenen (1903), und in der Weimarer Zeit  wurde der Bund für Menschenrechte (1923) gegründet, von welchem Ortsgruppen in  Karlsruhe und Stuttgart bekannt sind. Im Bund für Menschenrechte waren auch Frauen aktiv.

Diese homosexuellen Verbände setzten sich vorrangig für die Abschaffung des Paragrafen 175 StGB ein, außerdem auch für die rechtliche Gleichstellung und gesellschaftliche Akzeptanz Homosexueller. Sie gaben Zeitschriften heraus und boten  Möglichkeiten des Kontakteknüpfens. Nicht zuletzt dank ihrer Tätigkeit wäre zum Ende der Weimarer Republik fast der Paragraf 175 StGB gestrichen worden. Intern bestanden durchaus Konfliktlinien, etwa zwischen Männern und Frauen, virilen und effeminierten Männern, homo- und heterosexuellen Transvestit_innen, zwischen Strichern und ihren Kunden.

Subkultur im Nationalsozialismus

Homosexuelle Männer mussten, vom verschärften Paragrafen 175 RStGB ab 1935 bedroht, in der Zeit des Nationalsozialismus versteckter leben als zuvor. Auch waren nun subkulturelle Netzwerke zu großen Teilen zerstört, Zeitschriften beschlagnahmt. Doch homosexuelles Leben existierte dennoch in den Jahren zwischen 1933 und 1945, so auch in deutschen Südwesten.

Mit der Machtübernahme des Nationalsozialismus‘ endete die städtische Subkultur nicht völlig, doch viele Lokale schlossen aufgrund von Polizei-Razzien. Verbände konnten sich mangels Räumlichkeiten nicht mehr treffen und lösten sich auf, häufig auch aus Angst vor Repressionen des neuen Regimes. Und auch wenn Homosexuellen-Zeitschriften nicht offiziell verboten waren, stellten doch sämtliche Blätter der Weimarer Republik ihr Erscheinen angesichts des veränderten politischen Klimas ein. Forschungen aus dem Raum um Köln und dem Ruhrgebiet haben gezeigt, dass die homosexuelle und transvestitische Subkultur auf die Repression vor allem durch einen Wechsel der Treffpunkte reagierte und in andere Stammlokale abwanderte. Treffen größerer Gruppen waren aus Gründen des Platzmangels im privaten Bereich eher selten. Nach Schließung vieler Lokale fungierten auch sogenannte „Klappen“ – etwa öffentliche Toiletten oder Parks – als wichtige Treffpunkte homosexueller Männer, an denen bezahlte oder unbezahlte sexuelle Kontakte stattfinden oder angebahnt werden konnten. Die männliche Prostitution nahm nach 1933 keineswegs ab, waren doch gerade junge Männer aus der Arbeiterklasse von den Folgen der Wirtschaftskrise betroffen und mussten sich so einen Zuverdienst sichern.

Auch nationalsozialistische Organisationen selbst boten Möglichkeiten der gleichgeschlechtlichen Kontaktaufnahme. So waren vor allem die Jugendorganisationen Bund deutscher Mädel und Hitlerjugend durchaus Orte homosexuellen Experimentierens.

Subkultur in den 1950er und 1960er Jahren

In den 1950er und 1960er Jahren öffneten neue Treffpunkte im urbanen Raum. Langsam entstand wieder eine subkulturelle Infrastruktur in Baden-Württemberg, die allerdings sehr stark männlich geprägt war. In Reutlingen vernetzte die kameradschaft die runde seit 1950 homosexuelle Männer aus der Region.

Die Runde-001

Mitglieder der kameradschaft die runde im Wohnzimmer der beiden Gruppengründer Harry Hermann und Willy Stiefel. Quelle: Schwules Museum*, Bestand die runde.

Diese sehr bürgerliche Homophilengruppe, die zu großen Teilen aus Handwerkern oder Studenten bestand, war vor allem eine Plattform des Austauschs und der Geselligkeit, gab aber auch eine eigene Zeitschrift heraus. Die runde vernetzte Homosexuelle im Raum Württemberg und stand in stetem Austausch mit der Schweizerischen Homophilenvereinigung Der Kreis. Über diese Gruppe wurden im württembergischen Raum viele Kontakte hergestellt, da sich deutsche Männer oftmals an die relativ bekannte schweizerische Gruppe wandten und von dort an die runde weiterverwiesen wurden.

Wenn schon die Vernetzung unter homosexuellen Männern in den frühen Jahren der Bundesrepublik im Vergleich zur Weimarer Republik sehr gering war, so war sie unter homosexuellen Frauen noch weniger vorhanden. Zu vermuten sind allerdings private Zirkel und Freundinnenkreise. Bisher weiß die Forschung darüber nichts. Hier eröffnen Oral History-Methoden die Möglichkeit, Informationen über solche Kreise zu erhalten, zu denen dann weiter recherchiert werden kann. Daher ist die Forschung dringend auf Hinweise von Zeitzeug_innen angewiesen.

Zum Weißen Rössel, Schwules Museum-001

Die Restauration zum Weissen Rössel in Stuttgart. Quelle: Schwules Museum*, Bestand die runde.

Subkulturelle Orte sind für die 1950er und 1960er Jahre dank der Forschungen Karl-Heinz Steinles und des Zentrums Weissenburg vor allem für den Stuttgarter Raum bekannt: Man(n) traf sich in der Bachstelze (die später Café Weiß hieß) in der Bachstraße oder in der Baßgeige in der Hauptstätterstraße, im Café Gymnasium in der Gymnasiumstraße oder im Weißen Rössl in der Schwabstraße.

Die Emanzipationsbewegung homophiler Männer organisierte sich in den 1950er und 1960er Jahren in sogenannten Homophilengruppen, die Lobbyarbeit für die Abschaffung des Paragrafen 175 StGB leisteten, Rechtsbeistand anboten und Zeitschriften herausgaben. Vereinzelte Versuche, das Institut für Sexualwissenschaft und das Wissenschaftlich-humanitäre Komitee wiederaufleben zu lassen, scheiterten. Organisationen lesbischer Frauen sind bisher nicht bekannt. Erst in den frühen 1970er Jahren formierte sich eine schlagkräftige und massenwirksame homosexuelle Bewegung, die eingebettet in die Neuen Sozialen Bewegungen und die sexuelle Liberalisierung ihrer Zeit eine offensive emanzipatorische Politik betrieb. Überwiegend schwul geprägt, waren aber doch auch einige lesbische Frauen dabei. Außerdem sind lesbische Aktivistinnen in der Frauen- und Lesbenbewegung ab den 1970er Jahren zu finden.

Homosexuelles Leben jenseits der Subkultur

Abseits großer Städte war homosexuelles Leben in den 1950er und 1960er Jahren mit den gleichen Problemen konfrontiert wie in der Weimarer Zeit: Vereinzelung, Einsamkeit und wohl nicht selten das Gefühl, der einzige gleichgeschlechtlich begehrende Mensch in weitem Umkreis zu sein. Doch auch in den Städten vernetzten sich nicht alle Homosexuellen. Ein großer Teil gleichgeschlechtlich liebender Menschen war nicht in Vereinen organisiert und hielt sich nicht in Homosexuellenlokalen auf. Zum Einen musste man solche Treffpunkte überhaupt kennen. Zum Anderen musste man auch über das Geld und die Zeit verfügen, sich dort aufzuhalten.

Vor allem aber war die Subkultur ein Ort für Menschen, die sich selbst als homosexuell verstanden. Jene, die zwar gleichgeschlechtlich begehrten oder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen lebten, aber für sich selbst eine Identität  als „homosexuell“ ablehnten (oder vielleicht gar nicht kannten), waren kaum Teil jener Subkultur.

Lebenswege von LSBTTIQ jenseits der subkulturellen Vernetzung sind schwer zu erforschen. Für die Forschung ist ein Ansatzpunkt nötig, und Organisationen, Zeitschriften oder Lokale ermöglichen dies. Ansatzpunkte zur Erforschung der Geschichte von unauffälligen, nicht in der Selbsthilfe organisierten und nicht als Homosexuelle, Transvestit_innen oder Intersexuelle identifizierten Menschen zu entwickeln, ist ein Ziel des Projekts.

nr, kp

Weiterlesen

Plötz, Kirsten (1999): Einsame Freundinnen? Lesbisches Leben während der zwanziger Jahre in der Provinz. 1. Aufl. Hamburg: MännerschwarmSkript-Verl. (WerkstattTexte / SchwulLesbische Studien Bremen, 4).

Pretzel, Andreas; Weiß, Volker (Hg.) (2010): Ohnmacht und Aufbegehren: Homosexuelle Männer in der frühen Bundesrepublik. Hamburg: Männerschwarm-Verl.

Schwulst; Weissenburg e.V. (Hg.) (2010): Ausgrenzung aus der Volksgemeinschaft. Homosexuellenverfolgung in der NS-Zeit.

Steinle, Karl-Heinz (1998): Die Geschichte der kameradschaft die runde, 1950 bis 1969. Berlin: Verlag rosa Winkel (Hefte des Schwulen Museums, Heft 1).