Repression gegen lesbische Frauen

Lesbische Frauen als die geringere Bedrohung der Gesellschaft?

Repression bedeutet nicht allein strafrechtliche Verfolgung. Ein gutes Beispiel dafür ist die Geschichte lesbischer Frauen im Nationalsozialismus und der frühen Bundesrepublik. Lesbische Sexualität galt seit Einführung des § 175 StGB im Kaiserreich rein rechtlich nicht als verboten. Begründet wurde das bis weit in die 1950er Jahre hinein damit, dass homosexuelle Frauen eine geringere Bedrohung für die Moral und Reproduktion der Gesellschaft seien als homosexuelle Männer.

Kameradschaftsehe, in Die Freundin 5.22 (1929)

Sogenannte Kameradschaftsehen waren Möglichkeiten für homosexuelle Frauen und Männer, nach außen hin den gesellschaftlich relevanten Schein einer heterosexuellen Ehe zu wahren. In Homosexuellenzeitschriften der Weimarer Republik und auch der Nachkriegszeit finden sich des Öfteren solche Anzeigen. Quelle: Die Freundin 5.22 (1929).

Dies hängt eng zusammen mit dem Umstand, dass Frauen unabhängig von Männern kaum ein eigenes Sexualleben zugestanden wurde. So waren nicht nur viele Sexualwissenschaftler des 20. Jahrhunderts davon überzeugt, echte Sexualität erfordere mindestens einen beteiligten Mann.

Außerdem waren lesbische Frauen schon qua Geschlecht vielfältigen Kontroll- und Herrschaftsmechanismen ausgesetzt. Im politischen, rechtlichen und ökonomischen Bereich, nicht minder aber im „privaten“ Raum der Familie wurde Druck auf Frauen ausgeübt, sich ihrer Rolle gemäß zu verhalten. Dies zielte auf eine dem Ehemann untergeordnete Position ab, ohne Selbstbestimmung über ihre Körper oder über Schwangerschaften.

Dennoch wurde in der NS-Zeit und der Bundesrepublik immer wieder diskutiert, ob lesbische Sexualität verboten werden solle. Ein Protokoll der Akademie für Deutsches Recht von 1936 zeigt die Argumente, die gegen eine Kriminalisierung weiblicher Homosexualität ins Feld geführt wurden:

„Ministerialdirigent Dr. Schäfer führte aus, daß die Strafrechtskommission sich in ihren Entschlüssen von folgenden Erwägungen habe leiten lassen: Die Gefahr der Verführung sei selbst bei angeborener Tribadie nicht annähernd so groß wie bei der männlichen Homosexualität, weil im allgemeinen wohl angenommen werden könne, daß eine verführte Frau dadurch nicht dauernd dem normalen Geschlechtsverkehr entzogen werde, sondern bevölkerungspolitisch nach wie vor nutzbar bleiben werde. Ferner werde durch die Ausübung dieses Lasters die Psyche der Frau lange nicht so beeinträchtigt wie beim Mann, und die Gefahr sei daher für den Staat lange nicht so groß. Ein weiterer Grund, hier im allgemeinen von Strafen abzusehen, liege in der Gefahr der Denunziationen, die wegen der natürlichen Neigung der Frau zu Überschwenglichkeiten und Liebkosungen besonders groß sei. Eine allgemeine Bestrafung der Tribadie sei daher nicht in Aussicht genommen.“

Akademie für Deutsches Recht. Unterausschuss zur Vorbereitung der weiteren Arbeiten des Ausschusses für Bevölkerungspolitik. Auszüge aus dem Protokoll der Beratung vom 2. März 1936. Zitiert in: Grau, Homosexualität in der NS-Zeit. Dokumente einer Diskriminierung und Verfolgung, S. 101-102.

Die Debatte wurde in den 1950er Jahren mit ähnlichen Argumenten erneut geführt, indem die Unterschiede zwischen weiblicher und männlicher Homosexualität betont wurden. Frauen, so lesen wir im Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1957, würden Sexualität mehr mit Liebe und Verantwortung verbinden als Männer, könnten leichter sexuell abstinent bleiben, neigten weniger dazu, die Jugend zu verführen und seien außerdem leichter zurück auf den Pfad der Heterosexualität zu führen. Die Straffreiheit von lesbischer Sexualität war also nicht einer liberalen Gesetzgebung geschuldet, sondern vielmehr den Frauen benachteiligenden Strukturen der deutschen Gesellschaft und den stereotypen Vorstellungen über (lesbische) Frauen.

In Österreich war die juristische Ausgangslage anders: Hier galt das Gesetz, das gleichgeschlechtliche Handlungen verbot, für beide Geschlechter. Tatsächlich aber wurden in Österreich Männer weit vehementer verfolgt als Frauen: Nur ca. fünf Prozent der Urteile nach Paragraf 129 ÖStG betrafen lesbische Frauen.

Konservative Geschlechterpolitik
und soziale Kontrolle in der NS-Zeit

Lesbische Sexualität war in Deutschland zwar nicht illegal, doch dies bedeutet nicht, homosexuelle Frauen seien ohne weiteres akzeptiert worden. Repression kann viele Formen haben: soziale Kontrolle durch Familie, Nachbarn und Freund_innen, der gesellschaftliche Zwang, sich einer heterosexuellen Norm zu unterwerfen, Angst vor Arbeitsplatzverlust im Falle eines Bekanntwerdens der Lebensform, Beleidigungen, physische Gewalt, das Verschweigen von Homosexualität – all dies sind Formen der Diskriminierung, die lesbische Frauen im Nationalsozialismus und in der Bundesrepublik erlebten.

Ab 1933 waren lesbische Lokale, Vereine und Zeitschriften von Razzien und Verboten bedroht, und es gab weniger öffentliche Treffpunkte für gleichgeschlechtlich  liebende Frauen. Doch funktionierte der repressive Druck vor allem über die soziale Kontrolle des näheren und weiteren Umfelds. Dies konnte von elterlichen Sanktionen ihrer Töchter bis hin zu Denunziationen bei staatlichen Stellen gehen. Die rigide nationalsozialistische Geschlechterpolitik drängte Frauen in eine reproduktive Rolle als Mutter und Hausfrau und sah ein Leben oder Sexualität jenseits von Ehe und Mutterschaft für Frauen nicht vor.

Viele Frauen wagten es seit 1933 noch weniger als zuvor, ihre lesbischen Wünsche offen zu leben – die Folge waren Rückzug und Isolation, Geheimhaltung und oftmals auch heterosexuelle Ehen.

Über gleichgeschlechtlich liebende Frauen in Baden, Württemberg und Hohenzollern während der NS-Zeit ist bisher nur wenig bekannt. Das Projekt setzt an diesen Forschungslücken an und fragt nach Personen, Netzwerken und subkulturellen Treffpunkten, aber auch nach Geschlechter- und Familienverhältnissen im südwestdeutschen Raum.

Lesbische Frauen im KZ

StA Stuttgart, J 301 a, 263, Gotteszell-001

Die Frauenhaftanstalt Gotteszell wurde in einem ehemaligen Dominikanerinnenkloster eingerichtet. Mit der Säkularisation, also der Enteignung von Kirchenbesitz in der Napoleonischen Zeit, wurde das Kloster aufgelöst, und das Gebäude ging in staatlichen Besitz über. 1808 wurde hier ein Gefängnis eingerichtet, in dem zunächst Männer wie Frauen inhaftiert wurden. Erst mit dem Reichsstrafgesetzbuch von 1871 wurde der Strafvollzug nach Geschlechtern getrennt und Gotteszell zu einem Frauengefängnis. Im März 1933 wurde hier ein Frauen-Konzentrationslager errichtet, das allerdings nur bis Januar 1934 bestand. Insgesamt waren hier ca. 50 Frauen eingesperrt. Da im ersten Jahr der NS-Herrschaft vor allem politische Feinde der Nazis ins KZ gebracht wurden, ist anzunehmen, dass auch diese Frauen als „Politische“ inhaftiert waren. Ob lesbische Frauen darunter waren, ist nicht bekannt. In der Bundesrepublik wurde das Gebäude erneut als Justizvollzugsanstalt eingerichtet und dient bis heute als Frauengefängnis. Quelle: StA Stuttgart J 301a Nr. 263, S. 11.

Offiziell wurden Frauen nicht wegen homosexueller Vergehen verhaftet. Die im KZ inhaftierten Frauen, von denen wir wissen, dass sie lesbisch waren, wurden anderen Häftlingskategorien zugeordnet, so zum Beispiel den Politischen oder sogenannte „Asozialen“. Unklar bleibt bei diesen Fällen, ob die sexuelle Orientierung der Frauen mit ausschlaggebend für die Inhaftierung war. Nur in vier Fällen aus Ravensbrück, dem größten Frauenlager der Nationalsozialisten, ist belegt, dass „lesbisch“ als Haftgrund für eine Frau angegeben war. Berichte von Zeitzeuginnen zeigen, dass lesbische Beziehungen in Konzentrationslagern keine Seltenheit waren. Die bisherigen Forschungen zu lesbischen Frauen in Konzentrationslagern beziehen sich vor allem auf Ravensbrück; doch mit Gotteszell gab es auch ein Frauenlager auf Württembergischen Boden, in dem nach Spuren lesbischer Frauen zu suchen ist.

Von den Freiheiten der Nachkriegszeit zur
konservativen Familienpolitik der Bundesrepublik

Die Nachkriegszeit eröffnete lesbischen Frauen neue Freiheiten: In einer Gesellschaft, in der zahlreiche Männer im Krieg gefallen oder in Gefangenschaft geraten waren, war es nicht unüblich, dass zwei Frauen allein oder mit ihren Kindern zusammen in einem Haushalt lebten. Lesbische Beziehungen wurden so oftmals geduldet – freilich unter der Prämisse, dass ein mögliches sexuelles Verhältnis nicht zur Sprache kam.

Mit zunehmender Konsolidierung der neuen Bundesrepublik in den 1950er und 60er Jahren erlebte aber die traditionelle Familienstruktur aus miteinander verheirateten Vätern und Müttern sowie deren leiblichen Kindern einen erneuten Aufschwung. Konservative Geschlechter- und Familienverhältnisse wurden stärker. Das staatlich massiv geförderte Ein-Ernährer-Modell sah die alleinige Erwerbstätigkeit des Mannes vor, während die Ehefrau sich um Haushalt und Kinder kümmern sollte – in allen Schichten, was durchaus neu war. Verheiratete Frauen wurden so in finanzielle Abhängigkeit von ihren Gatten gepresst. Frauen, die keine Ehe eingingen, waren oft finanziell schlecht gestellt, verdienten sie doch weitaus weniger als Männer. So lebten lesbische Frauen, die dauerhaft unverheiratet blieben, ohne die soziale Absicherung durch eine Ehe oftmals in relativer Armut. Zudem hatten sie als „alte Jungfern“ einen niedrigen sozialen Status.

„[Nach weitverbreiteten Anschauungen] ist für die Stellung der Frau in der Gesellschaft vor allem ihr Familienstand von Bedeutung. Das größte Ansehen genießt hiernach die Ehefrau. Von den alleinstehenden Frauen wird die verwitwete und die geschiedene Frau anders bewertet, in der Regel höher, als die ledige, die niemals einen Ehepartner hatte. Bei dem großen Frauenüberschuß, der für so viele Frauen zwangsläufig Ehelosigkeit zur Folge hatte, kommt anscheinend nur wenigen zum Bewußtsein, daß man auch aus freier Wahl unverheiratet bleiben kann. Einer wieder anderen Wertung unterliegt die ledige Mutter. Selbst dann, wenn sie ihre schwierige Situation beruflich und im Hinblick auf die Erziehung ihres Kindes vorbildlich meistert, genießt sie doch keineswegs das Ansehen, das eine Verwitwete oder Geschiedene immerhin hat. […] Obwohl die dargelegten Vorstellungen den alleinstehenden Frauen das Leben erschweren können, gelingt es doch vielen, einer Isolierung zu entgehen oder sich zu überwinden. Sie schaffen sich einen Freundeskreis oder eine gesellschaftliche Position, bilden sich fort, betätigen sich in Organisationen und gelangen auch auf diese Weise zu einem erfüllten Leben.“

Presse- und Informationsamt der Bundesregierung: Die Frau in Beruf, Familie und Gesellschaft. Eine zusammenfassende Darstellung des Berichts der Bundesregierung über die Situation der Frauen in Beruf, Familie und Gesellschaft, Bonn 1967, S. 44.

Lesbische Frauen bleiben unsichtbar

Über lesbische Frauen wurde im 19. und 20. Jahrhundert kaum öffentlich gesprochen. Eine Freundschaft oder Lebensgemeinschaft zwischen Frauen als lesbische Liebes- (oder gar sexuelle) Beziehung zu benennen, wurde im nahen wie weiteren gesellschaftlichen Umfeld sanktioniert. Und wenn lesbische Liebe doch öffentlich thematisiert wurde, dann war der Blick darauf in der Regel durch männliche Perspektiven geprägt. Das konsequente Ignorieren lesbischer Lebensweisen in der Nachkriegs- und bundesdeutschen Gesellschaft bis in die heutige Zeit zeugt davon, wie verpönt lesbische Liebe war. Es ist zugleich Ausdruck einer sexistischen Gesellschaft, die Frauen nur in Verbindung mit Männern eine Sexualität zugesteht. Die Erforschung lesbischer Lebensweisen in Baden, Württemberg und Hohenzollern ist daher ein wichtiger Schritt, die relative Unsichtbarkeit weiblicher Homosexualität zu überwinden und lesbischen Frauen den Platz in der Geschichte einzuräumen, den sie verdienen.

nr, kp

Weiterlesen

Eschebach, Insa (Hg.) (2012): Homophobie und Devianz. Weibliche und männliche Homosexualität im Nationalsozialismus. Berlin: Metropol-Verl. (Forschungsbeiträge und Materialien der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, 6).

Hacker, Hanna (2015): Frauen* und Freund_innen. Lesarten „weiblicher Homosexualität“. Österreich, 1870 – 1938. 1. Aufl. Wien: Zaglossus (Challenge gender, Bd. 4).

Leidinger, Christiane (2015): Lesbische Existenz 1945-1969. Aspekte der Erforschung gesellschaftlicher Ausgrenzung und Diskriminierung lesbischer Frauen mit Schwerpunkt auf Lebenssituationen, Diskriminierungs- und Emanzipationserfahrungen in der frühen Bundesrepublik. Berlin.

Plötz, Kirsten (2014): Wo blieb die Bewegung lesbischer Trümmerfrauen? In: Bundesstiftung Magnus Hirschfel (Hg.): Forschung im Queerformat. Aktuelle Beiträge der LSBTI*-, Queer- und Geschlechterforschung. Bielefeld: transcript, S. 71-86.

Scheidle, Ilona (2011): Lesben-Geschichte-Frauen-Bewegung. In: Studienwerk der Heinrich Böll-Stiftung (Hg.): gender geblickt. queer-feministische ein-, aus- und durchblicke, S. 22-27.

Schoppmann, Claudia (1991): Nationalsozialistische Sexualpolitik und weibliche Homosexualität. Pfaffenweiler: Centaurus-Verl.-Ges (Frauen in Geschichte und Gesellschaft, 30).