„… dass ich nicht einsehe, warum ich net´s gleiche Recht habe wie andere“ (Herta Leistner)

Herta Leistner wurde 1942 in Altensteig im Schwarzwald geboren. Der schon betagte Vater war Tierarzt und ermöglichte ihr Umgang mit Tieren, den sie zeitlebens pflegte. Bestimmend für Herta Leistner waren jedoch die Mutter und deren Mutter, die mit im Haus wohnte. Die Frauen hatten eine enge Mutter-Tochter-Beziehung und lebten ihren evangelischen Glauben, ohne dabei dogmatisch zu sein. Herta Leistner besuchte den evangelischen Mädchenkreis. Den Wunsch, Sportlehrerin zu werden durchkreuzte der Selbstmord der Mutter kurz nach dem Tod der Großmutter. So musste Herta Leistner im Alter von 16 Jahren den Vater und Bruder versorgen.

1959 begann Herta Leistner ein Freiwilliges Diakonisches Jahr in der Evangelischen Diakonissenanstalt in Stuttgart. Ihre Freundschaft zu einer nur wenig älteren Diakonisse stieß auf eine ablehnende Haltung der Vorgesetzten, die aber nie direkt ausgesprochen wurde. Danach machte sie eine Ausbildung zur Gemeindehelferin in Denkendorf mit anschließender evangelischer Mädchenarbeit in Ulm. Von einer Lehrerin ermutigt, holte Herta Leistner das Abitur in der Abendschule nach und konnte 1969 ein Studium der Sozialpädagogik in Tübingen beginnen. In diese Zeit fiel ihre erste Beziehung mit einer Frau, mit der sie auch nach deren späteren Heirat befreundet blieb.

1974 begann Herta Leistner als Studienleiterin an der Evangelischen Akademie Bad Boll bei Göppingen. Ihr fast 20-jähriges Wirken machte die Akademie zu einem in der Bundesrepublik einzigartigen Ort der Auseinandersetzung mit Frauenfragen. Zunächst beschäftigte sie sich mit Erwachsenenbildung und Gruppendynamik. Ein sechsmonatiger Studienaufenthalt in Philadelphia 1977 und ihr Kontakt zur dortigen Frauenbewegung prägte ihr weiteres Wirken in Bad Boll. Sie organisierte die „Werkstatt Feministische Theologie“ und schaffte es 1985 mithilfe eines Netzwerkes von Frauen in der Kirche und aus deren Umfeld eine Tagung für lesbische Frauen zu veranstalten, der viele weitere folgten. Eine entscheidende Positionierung der Akademie zu lesbischen Frauen und das eigene Coming out markierte 1987 das Buch „Hättest du gedacht, dass wir so viele sind? Lesbische Frauen in der Kirche“, das Herta Leistner zusammen mit Ute Wild und Monika Barz herausgab.

Die Veröffentlichung traf auf viel Zustimmung und öffnete Türen für einen offeneren Umgang mit allen Lebensfragen. Aus Kirchenkreisen, vor allem von evangelikalen Gruppen kamen jedoch auch scharfe Ablehnung bis hin zu persönlichen Angriffen gegen Herta Leistner wegen ihrer sexuellen Orientierung. Aus der Kirchenhierarchie kamen Forderungen nach einem Disziplinarverfahren und Unterstellungen, sie hätte die Akademie zu einen “Tempel der lesbischen Liebe” gemacht und nutze die Lesbentagungen zum Kennenlernen eigener Freundinnen. Herta Leistner blieb standhaft: sie setzte ihre Arbeit fort und konnte die ebenfalls geforderten Streichung der lesbischen und feministischen Themen aus dem Tagungsprogramm abwenden.

Trotz aller Attacken hielt Herta Leistner an ihrer Überzeugung fest, dass Veränderung innerhalb der Institution Kirche möglich sind. 1993 übernahm sie die Geschäftsführung des Frauenstudien- und -bildungszentrums der Evangelischen Kirche in Gelnhausen, dessen Einrichtung sie selbst mit vorangetrieben hatte. Im gleichen Jahr promovierte sie an der Universität Hannover mit der Arbeit “Aus der Nichtexistenz auftauchen… Der Beitrag der Tagungsarbeit zum Identitätsbildungsprozess lesbischer Frauen in der Kirche“.

Für ihre “Verdienste um die Wahrnehmung und Emanzipation lesbischer Frauen in Kirche und Gesellschaft” bekam Herta Leistner 1996 das Bundesverdienstkreuz verliehen. Auch diese Ehrung wurde von Protesten einzelner Kirchenvertreter und evangelikaler Gruppen begleitet. Diesen entgegnete die Offene Kirche von Württemberg 2009 mit der Verleihung ihres AMOS-Preises für Zivilcourage in Kirche und Gesellschaft an Herta Leistner.

Seit ihrer Pensionierung 2004 widmet sich Herta Leistner zusammen mit ihrer Partnerin Kathrin voller Energie einer alten Leidenschaft: der Pflege von Hunden und Pferden.

khs