Eduard N.: Ein Mordfall führt zu einer Verurteilung nach § 175a

Im Herbst 1950 ermittelte die Freiburger Kriminalpolizei in einem Raubmord, der sich im Schwarzwald ereignet hatte. Als Verdächtiger wurde der achtzehnjährige Hilfsarbeiter Werner H. vernommen, ein obdachloser Flüchtling aus der Ostzone, der in jener Nacht von St. Blasien kommend  in Richtung Freiburg unterwegs war.

Im Verhör bestritt H. jegliche Täterschaft im Fall des Raubmords. Als Alibi gab er an, die Nacht im Kiosk von Eduard N. im Höllental verbracht zu haben, und fügte hinzu, dieser habe ihm in jener Nacht an sein Geschlechtsteil gegriffen, aber sofort wieder abgelassen, als Werner H. seinen Unwillen geäußert habe . Dieses Alibi befreite Werner H. vom Verdacht im Mordfall. Gleichzeitig weckte es das Interesse der Polizei am homosexuellen Delikt, das hier wie nebenbei zur Sprache kam.

Eduard N., Jahrgang 1904, Zugezogener aus Preußen, verheirateter Betreiber eines fahrbaren Kiosks am Hirschsprung und wohnhaft in Breitnau, wurde vier Tage nach Werner H.s Aussage vernommen. Zunächst gab er an, Werner H. nicht zu kennen. Als er jedoch erfuhr, dass es sich um ein Alibi in einem Mordfall handelte, bestätigte er dessen Besuch, bestritt aber jegliche sexuellen Annäherungen von seiner Seite.

Der Vermerk des Inspektors auf dem Aussageprotokoll: N., so habe man erfahren, locke gern fremde junge Männer an sich. Die folgenden Zeugenvernehmungen und auch die Gerichtsverhandlung im Februar 1951 gingen vor allem diesen Gerüchten nach.

N. wurde von Nachbarn beschuldigt, öfter in Kontakt mit jungen Männern zu stehen. Die Polizei vernahm die drei Jungen Emil G., Oskar Z. und Otto H., die häufig N.s Kiosk frequentierten und dort auch des Öfteren übernachteten. Emil G. und Otto H. sagten aus, N. sei ihnen niemals in sexueller Absicht gegenübergetreten. Die Aussage Z.s, Eduard N. habe sich ihm zuweilen zärtlich genähert, wurde vom Gericht als unbrauchbar gewertet, da der Zeuge geistig beschränkt sei. Auch die Denunziationen von Seiten der Nachbarn wurden in Zweifel gezogen, denn diese Nachbarn wollten vor Gericht nicht aussagen. Es bestehe außerdem viel Konkurrenz und Feindschaft gegenüber dem Zugezogenen N., der eine Lizenz zum Betreiben seines Kiosks erhalten hatte, die anderen Eingesessenen verwehrt wurde. Zeugen der Verteidigung betonten Eduard N.s tadelloses Verhalten gegenüber Jugendlichen, die bei ihm zu Gast waren.

Nicht minder wichtig war die Diskussion um die Glaubwürdigkeit Werner H.s, die letztlich ausschlaggebend für das Gerichtsurteil war: Unsauber, verlottert und arbeitsscheu sei dieser, ohne Erziehung und mit einem Hang zum Wanderleben, so ein Mitarbeiter der Freiburger Jugendbaracke, in der H. untergekommen war. Trotz dieser Einschätzung konnte das Gericht bei H. allerdings keinen Hang zu Lügen, Angeberei oder Denunziantentum feststellen, so dass seine Aussage letztlich als glaubwürdig bewertet wurde.

Eduard N. wurde wegen versuchter Verleitung eines Minderjährigen zu gleichgeschlechtlicher Unzucht nach § 175a zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt. Die Berufung und ein Revisionsverfahren, die N. gemeinsam mit seinem Anwalt im Frühjahr 1951 und im Sommer 1952 anberaumten, scheiterten. Einem Gnadengesuch jedoch wurde im September 1952 stattgegeben.

Quelle: StA Freiburg F 176/13 162.