Von Ausweisung, Aktfotografien und politischem Engagement: Der Homosexuellenaktivist Emil Scheifele

Von Ausweisung, Aktfotografien und politischem Engagement: Der Homosexuellenaktivist Emil Scheifele (Teil II)

Von Dr. Julia Noah Munier, Forschungsprojekt „Lebenswelten, Repression und Verfolgung von LSBTTIQ in Baden und Württemberg im Nationalsozialismus und der Bundesrepublik Deutschland„, Universität Stuttgart, Historisches Institut, Abtl. Neuere Geschichte.

Emil Robert Scheifele, Stuttgarter Homosexuellenaktivist der frühen Nachkriegszeit, wurde 1938, zu einem Zeitpunkt als die Verfolgung homosexueller Männer im NS-Deutschland stark zunahm, aus der Schweiz ausgewiesen. In der direkten Nachkriegszeit in Stuttgart lebend, begann Scheifele – zusammen mit Gleichgesinnten – sich für die Rechte homosexueller Menschen einzusetzen und stritt u.a. mit Briefen an Konrad Adenauer, Bundesjustizminister Thomas Dehler sowie mit einer Eingabe an den Deutschen Bundestag für eine Abschaffung des § 175 StGB.1 Der vorliegende Beitrag ist ein Folgebeitrag zum Aufruf „Wer war Emil Scheifele?“ vom 17. Mai 2021, auf den es viele Reaktionen gegeben hat. Allen Hinweisgeber_innen sei an dieser Stelle herzlich gedankt! Die Spuren haben die Autorin u.a. zu Archivbeständen im Bundesarchiv Koblenz und im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern geführt.

Scheifeles Engagement für die Abschaffung des § 175

Bereits 1947 begann sich der in Stuttgart lebende Scheifele im Zuge des politischen Umbruchs und der Bemühungen um eine Bereinigung des Strafrechts von der NS-Gesetzgebung für die Abschaffung des § 175 einzusetzen. Er versuchte z. B. in Erfahrung zu bringen, ob der Alliierte Kontrollrat sich für eine Streichung des § 175 StGB entscheiden würde.2 Zwei Jahre später – die § 175 und § 175a StGB bestanden vom Alliierten Kontrollrat und seiner Gesetzgebung unangetastet fort – wandte er sich unmittelbar vor der Gründung der Bundesrepublik Deutschland an den Präsidenten des Parlamentarischen Rates und späteren ersten deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer (1876-1967) betreffend „Aufhebung der §§ 175, 175a StGB“.3 Das Sekretariat des Parlamentarischen Rates empfahl hierauf dem Absender die Eingabe direkt an den Deutschen Bundestag zu adressieren, was Scheifele auch tat.4 Im Oktober 1949 richtete Scheifele eine Eingabe an den Deutschen Bundestag der Bundesrepublik Deutschland betreff Streichung der §§ 175 und 175a StGB sowie Änderung des § 182 StGB.5

Eingabe an den Bundestag der Bundesrepublik Deutschland vom Oktober 1949, eingereicht durch Emil Scheifele. Quelle: Bundesarchiv Koblenz, BArchK B 141 4071, Bl. 17.

Auch an den ersten Bundestagspräsidenten Erich Köhler sowie den soeben zum Bundesjustizminister ernannten Thomas Dehler sandte Scheifele seine Eingabe als Durchschrift.6 An den Justizminister schrieb Scheifele:

„Ich habe erfahren, dass das neugegründete ‚Wissenschaftlich-humanitäre Komitee Dr. Magnus Hirschfeld‘ in Hamburg und Frankfurt a.M. ebenfalls eine Eingabe, jedoch auf wissenschaftlicher Grundlage, an den Bundestag vorbereitet und Sie gebeten haben soll, Petitionen und Eingaben von Seiten Privater und Vereinen zurückzustellen. Meine Eingabe und diejenige oben erwähnten Komitees werden sich inhaltlich und grundsätzlich wohl decken und ergänzen, sodass beide Eingaben eine ergiebige Grundlage für Besprechungen zum Problem des Strafrechtsparagraphen 175 und 175a bilden werden.“7

Scheiben von Emil Scheifele an Bundesjustizminister Thomas Dehler vom 27. Oktober 1949. Quelle: Bundesarchiv Koblenz, BArchK BArchK B 141 4071, Bl. 14.

Scheifeles Eingabe erfolgte etwa ein Jahr eher als die bekannte von dem Sexualwissenschaftler Hans Giese angestoßene „Eingabe an die gesetzgebenden Organe des Bundes in Bonn betr. §§ 175, 175a StGB“ der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung (DGfS) vom 1. November 1950.8

In seiner Eingabe schlug Scheifele eine Aufhebung der § 175 und § 175a StGB sowie eine Änderung des § 182 StGB in folgendem Sinne vor: „Wer eine unbescholtene Person, welche das sechzehnte Lebensjahr nicht vollendet hat, zu sexuellen Handlungen verführt, wird mit Gefängnis bis zu einem Jahr bestraft. Die Verfolgung tritt nur auf Antrag der Eltern oder des Vormundes der verführten Person ein.“9 Scheifele führte in seinem Schreiben an Justizminister Dehler aus:

„Den Vorschlag zur Änderung des Strafrechtsparagrafen 182 mache ich, weil darin die Festlegung der Schutzaltersgrenze für männliche und weibliche Personen am ehesten möglich sein dürfte und die Klageberechtigungsfrage schon darin enthalten ist. […] Nach meiner persönlichen Auffassung dürfte das 18. Lebensjahr die richtige Schutzaltersgrenze für männliche Personen sein, denn in diesem Alter ist sich der junge Mann über seine sexuelle Triebrichtung meistens schon im Klaren.“10

In seiner Eingabe ging Scheifele über die Forderungen der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung hinaus und stellte mit dieser Forderungen, die im Zuge der Strafrechtsreformen 1969 und 1973 und schließlich 1994 mit der endgültigen Streichung des § 175 berücksichtigt wurden. In seinem Schreiben an Thomas Dehler gab Scheifele zu verstehen, dass er die entsprechenden Exemplare der umfangreichen Eingabe für den Strafrechtsausschuss des Deutschen Bundestags zur Verfügung stellen wolle. Justizminister Dehler antwortete auf Scheifeles Brief abschließend, dass er das Material bei einer „ggf. stattfindenden Erörterung über den § 175 StGB mit verwenden“ werde.11

Als Kopf einer engagierten Gruppe kontaktierte Emil Scheifele schon im Sommer 1949 Thomas Dehler, der damals als Oberlandesgerichtspräsident in Bamberg tätig und im Parlamentarischen Rat hochengagiert war.12 In seinem Schreiben formulierte Scheifele:

„Ich habe in der Zwischenzeit noch eine Auflage von Abschriften der Kommentare bedeutender Männer und Wissenschaftler erhalten und erlaube mir Ihnen solche Abschriften zur Verfügung zu stellen. Diese Kommentare enthalten vollkommen das, was wir für notwendig und richtig empfinden als Begründung zur Abschaffung des § 175 § 175a. Es ist wohl kaum zu zweifeln, dass es damals ungleich schwerer war, zu diesem Problem Stellung zu nehmen, als heute in dieser so ‚aufgeklärten‘ Welt! Es handelt sich ja um Stellungnahmen von Männern, die in der Öffentlichkeit nicht weniger Geltung und Achtung genossen, als die heutigen Wissenschaftler.“13

Scheifele fügte der umfangreichen Eingabe an den Deutschen Bundestag auch Auszüge der berühmten Petition des Wissenschaftlich-humanitären Komitees zur Abschaffung des § 175 bei, sowie Exzerpte der WhK-Publikation „Gewichtige Stimmen über das Unrecht des § 175 unseres Reichsstrafgesetzbuchs“ (1913), die auch zahlreiche Stimmen aus dem deutschen Südwesten zu Wort kommen lässt. Zudem bezog er sich auf Rudolf Klimmers Schrift „Homosexualität“ (1948), die er der Eingabe ebenfalls beifügte.14

1952 befasste sich der Deutsche Bundestag schließlich mit Scheifeles im November 1949 dort eingegangener Petition.15 Das Gremium beschloss seine Petition der Bundesregierung als „Material“ weiterzuleiten. Der Ausschuss für Rechtswesen und Verfassungsrecht des Deutschen Bundestag leitete Scheifeles Petition erst im März 1952 an das Bundesministerium der Justiz.16 Da eine Antwort an Scheifele durch Justizminister Dehler bereits erfolgt war, befand das Bundesjustizministerium die Angelegenheit für abgeschlossen und legte das Material im April 1952 zu den Akten.17

Im Juli 1952 nahm schließlich der_die Stuttgarter_in Toni Simon (1887-1979), der_die offenbar mit Scheifele im Kontakt stand, in einer weiteren Eingabe an den Bundesjustizminister Dehler auf Scheifeles Bemühungen Bezug. Simon schrieb – aus der heutigen Perspektive als erste bekannte, offen auftretende Trans*-Person18 – an den Bundesminister der Justiz Thomas Dehler: „Alle Abgeordneten der Bundesregierung haben von Herrn Emil Scheifele eine Broschüre erhalten, zwanzig Seiten lang, in der alles entfaltet ist, was zur Aufklärung, über Homosexualität zu sagen ist […].“19 Weiter formulierte Simon:

„In der Schweiz ist der § schon lange gestrichen und nun sollte man doch von […] einem großem Kulturland wie Deutschland es ist, verlangen können, daß auch hier der § 175 gestrichen werden kann. […] Meine Erfahrungen und Studien haben ergeben, daß es ganz unmöglich ist, daß ein Homoerot mit einer Frau verkehren kann. […] Diese Homoeroten werden es Ihnen ewig danken, wenn der § 175 gestrichen wird, und zwar so schnell wie möglich.“20

Über sich selbst schrieb Toni Simon:

„Ich selbst bin Transvestit und habe 5 Kinder gezeugt, aber habe nur privat Sexualwissenschaft studiert und zu der Erkenntnis […] gekommen, daß es einem homosexuellen Menschen unmöglich ist, seinen Geschlechtstrieb einzustellen. […] Ein Homoerot muß frei sein und dazu gehört im wahrsten Sinne der Geschlechtstrieb. Auf eine recht baldige Beseitigung des Schandparagraphen […] bittet Ihr Toni Simon“21

Emil Scheifele war der Teil einer Gruppe engagierter Menschen, die sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit im deutschen Südwesten für eine Abschaffung des sogenannten Homosexuellenparagraphen einsetzte. Blicken wir auf seinen Lebensweg, so war er aufgrund von Strafverfolgung mehrfach existentiell bedroht.

Emil Scheifele, am 22. August 1899 in St. Gallen/Schweiz geboren, war deutscher bzw. württembergischer Staatsbürger. Sein Leben entfaltete sich zwischen der Schweiz und Württemberg, wo seine familiären Wurzeln liegen und wohin er in den späten 1930er Jahren zurückkehren musste. Seine Eltern Robert Wilhelm und Theodora geb. Baur stammten aus Ulm an der Donau. In Teufen (Schweiz, Kanton Appenzell Ausserrhoden), wo er zunächst als „Naturarzt“ tätig war, heiratete er im Jahr 1926 seine Frau Luise, geb. Zürcher (geb. 9. Mai 1892 in Menzingen/Schweiz). Später ließen sich die jungen Eheleute in Speicher (Schweiz, Kanton Appenzell Ausserrhoden) nieder und kurz danach in St. Gallen, wo Scheifele ebenfalls als Heilpraktiker wirkte. Bald nach der Heirat wurde er in Deutschland, vom Schöffengericht Berlin-Mitte, wegen Betrugs zu einem Jahr Gefängnis verurteilt. In die Schweiz zurückgekehrt „[…] wurde er im Jahre 1929 in Zürich und in Aarau wegen homosexueller Verfehlungen bezw. wegen Verkaufs unsittlicher Bilder mit Gefängnis von einem bzw. zwei Monaten bestraft […].“22

Anfang der 1930er Jahre entwickelte sich in Zürich eine vitale homosexuelle, insbesondere zunächst auch lesbische Subkultur mit Clubs wie dem „Damen-Club Amicitia“ und Zeitschriften wie dem „Freundschaftsbanner“.23 Ob Scheifele zu diesen Kreisen, oder später etwa zur Homophilengruppe „Der Kreis“ Kontakte pflegte, ist derzeit nicht bekannt. Mit Inkrafttreten des Schweizerischen Strafgesetzbuches im Jahr 1942 wurde die Strafbarkeit homosexueller Handlungen zwischen erwachsenen Personen über 21 Jahren aufgehoben. Zuvor war das Strafrecht kantonal geregelt, was auch Scheifele betroffen haben dürfte.24 Aufgrund seiner Verurteilung wurde Emil Scheifele im April 1929 von der Polizeidirektion des Kantons Aargau als „unerwünschter Ausländer“ aus der Schweiz ausgewiesen. Im Schweizerischen Polizei-Anzeiger wurde die Ausweisung deklariert und Scheifeles Aussehen eher abwertend beschrieben:

„Scheifele, Emil Robert. […] Kaufmann – 167 cm. Statur besetzt, Haare braun, dünn, Wirbelglatze, Haarbesatz spitzwinklig, Stirne hoch, gewölbt, Augen gelb-grünl., Nase: Rücken breit, eingedrückt, Basis wagr., Lippen dick, Kinn schwach zurückw., Gesicht längl., voll, Ausdruck nachdenklich. – Gründe: wiederh. Bestrafung wegen Vorweisung von unzücht. Bildern an Jugendliche, Päderastie und Betruges; unerwünschter Ausländer. Auf unbest. Zeit ausgew. […].“25

Nach Deutschland abgeschoben, musste Emil Scheifele zunächst eine Strafe verbüßen, die ihm bedingt erlassen worden war. Bereits im Oktober 1929 ersuchte er in Konstanz die eidgenössische Fremdenpolizei um erneute Einreise- und Meldeerlassungsbewilligung. Als sein Gesuch abgelehnt wurde, trat auch seine Frau Luise an die Einreisebehörde heran, um diese zu bitten, ihrem „unglückseligen Mann die Bewilligung zur Einreise“ in die Schweiz „zu gewähren“.26 Sie schrieb an die Behörde:

„Da ich bis heute noch keinen Bericht erhalten habe, möchte ich Sie anfragen, ob es nicht möglich wäre, die Einreisebewilligung für meine Mann Emil Scheifele zu beschleunigen. Er hat nun sein Fehler bekannt und will sich bemühen wieder ein rechtschaffender Mann zu werden. Er bittet mich darum, ihm doch beistehen zu wollen.“27

Weiter formulierte Luise Scheifele an die Behörde:

„Ich erkundigte mich bei einem Arzt, der ihn in Behandlung nehmen will, damit er von seinem Leiden, das ihn so schwer ins Unglück stürzte, befreit werde. In diesem Falle habe ich die größte Hoffnung ihn wieder auf den richtigen Weg zu bringen. Er ist sonst wirklich kein schlechter Mensch und musste in diesen ¾ Jahren seine Fehler schwer büßen und glaube auch, dass er für sein Leben lang geheilt ist.“28

1931 erhielt Scheifele schließlich die Wiedereinreiseerlaubnis für die Schweiz. So konnte er erneut in St. Gallen mit seiner Ehefrau leben.29 Wie die Eheleute ihren Lebensunterhalt verdienten, ist nicht bekannt. Allerdings arbeitete Luise Scheifele in dieser Zeit als „Ladentochter“. Scheifele wird in den späteren erhaltenen Akten nicht mehr als „Naturarzt“ geführt, sondern als Commis und Hilfsarbeiter.30 Es muss wohl in den 1930er Jahren gewesen sein, in denen Scheifele den Vertrieb sogenannter „unsittlicher Bilder“ wieder begann. Bei seiner Einreise in die Schweiz brachte er eine größere Anzahl von Aktbildern mit und bat einen ihm bekannten Fotografen diese zu reproduzieren.31

Aufgrund dessen wurde Scheifele am 30. Juni 1938 in St. Gallen inhaftiert.32 Das Einreisebureau der Stadtkanzlei St. Gallen und das Untersuchungsrichteramt stellten jeweils Antrag auf erneute unverzügliche Ausweisung, da sein Aufenthalt lediglich auf Wohlverhalten geregelt war. Im Antrag des Einreisebureaus heißt es: „Im weitern [sic] handle es sich bei Scheifele offenbar um einen unverbesserlichen und für die Jugend gefährlichen Homosexuellen. Dazu kommt, dass seine Ehefrau auf diese neuerlichen Rückfälle ihres Mannes die Scheidung durchführen will.“33 Nachdem auch Luise Scheifele die Scheidungsklage eingereicht hatte, bestand für die Behörden keine Veranlassung mehr, Scheifele in der Schweiz zu dulden.

Am 24. August 1938 wurde Scheifele durch das Polizeikommando des Kantons St. Gallen erneut aus der Schweiz ausgewiesen. Der Zeitpunkt war hochbrisant, stieg doch die Verfolgung homo- und bisexueller Männer in NS-Deutschland signifikant an. Emil Scheifele kam nach seiner Ausweisung in Ulm an der Donau in der Spatzengasse 2 unter. Die Eheleute Scheifele wurden in Abwesenheit Emil Scheifeles am 8. September 1938 geschieden. In dem Scheidungsantrag wurde Emil Scheifele ein Eheverbot auf die Dauer von 2 Jahren auferlegt (nach Art. 150 ZGB). Er hatte seiner Exfrau Alimente in Höhe von 100 Schweizerischen Franken im Monat zu zahlen. Der vorhandene Hausrat wurde seiner Ehefrau in Gänze zugesprochen.

In diesen Jahren verliert sich Scheifeles Spur. Im Jahr 1940 zog Emil Scheifele von Ulm nach Stuttgart, wo er zunächst in der Fürstenstraße 5 bei dem Hotelier Johann Zeller in der Pension Zeller & Frau gemeldet war.34 Anschließend lebte er bei dem Schneider Franz Knospe in der Hasenbergstraße 34, der dort ein Herrenmaßgeschäft betrieb, um dann bei der Damenschneiderin Wilhelmine Müller in der Hauptstätter Str. 154 unterzukommen.35 Wo Scheifele die Zeit zwischen 1940 und 1943 verbrachte, ist nicht bekannt, allerdings meldete er sich im Dezember 1945 erneut bei der Stuttgarter Meldebehörde. Auf der Meldekarte ist verzeichnet, dass er vorher in Thüringen bei Bludenz (Vorarlberg) lebte.

In der Stuttgarter Meldekartei wurde Scheifele nun als Kaufmann geführt. Er lebte in der Alexanderstraße 149 und zog 1948 – in der Zeit seines Engagements gegen den § 175 – einige Häuser weiter in die Alexanderstraße 149 (bei der Näherin Amalie Löwenstein). Im März 1950 ließ sich Emil Scheifele in Leonberg (Württemberg) nieder.36 Auf seiner dortigen Meldekarte ist eine Vorstrafe aus dem Jahr 1955 vermerkt. Dort heißt es auch: „Strafnachricht vorbestr. w. Verbreitung unzüchtiger Schriften zu 1. Jahr u. 2 Mon. Gefängnis abzgl. 69 T U-Haft“.

Die Spuren seines ereignisreichen, durch die Strafverfolgung geprägten Lebens verlieren sich hier und viele Fragen bleiben unbeantwortet. Wer waren die Menschen, bei denen Emil Scheifele in Stuttgart und Leonberg lebte? Mit wem stand Scheifele neben Toni Simon noch im Austausch? Hatte er etwa Kontakt zum Züricher „Kreis“? Hatte Scheifele zuletzt womöglich Zeitschriften der Homophilenbewegung vertrieben und wurde aufgrund dessen erneut verurteilt?

1 Vgl. BarchK B 141 4071, Bl. 17-61.

2 Vgl. hierzu Munier, Julia Noah (2021): „Homophiles Engagement in der unmittelbaren Nachkriegszeit – Wer war Emil Scheifele?“ In: URL: https://www.lsbttiq-bw.de/2021/05/17/wer-war-emil-scheifele/, 26.01.22.

3 Archiv des Liberalismus Gummersbach, Bestand Thomas Dehler, N1 387, Bl. 27. Schreiben Scheifeles an Konrad Adenauer v. 15.05.1949.

4 BArchK B 141 4071, Bl. 39. Schreiben Scheifeles an Bundestagspräsident Dr. Köhler v. 27.10.1949.

5 BArchK B 141 4071, Bl. 17. Eingabe an den Bundestag der Bundesrepublik Deutschland eingereicht durch Emil Scheifele v. Okt. 1949. Petitionseingang am 04.11.1949. Petition Nr. 601.

6 BArchK B 141 4071, Bl. 14-15. Schreiben Scheifeles an den Bundesjustizminister Dr. Thomas Dehler v. 27.10.1949.

7 BArchK B 141 4071, Bl. 15. Schreiben Scheifeles an den Bundesjustizminister Dr. Thomas Dehler v. 27.10.1949.

8 Vgl. Zeitschrift für Sexualforschung, 1. Jg., Nr. 3/4 (1950), S. 309-312. „Eingabe an die Gesetzgebenden Organe des Bundes in Bonn betr. die §§ 175 und 175a StGB“ des Instituts für Sexualforschung Frankfurt a. M. (Leitung Hans Giese), Forschungsstelle der DGfS v. 01.11.1950.

9 BArchK B 141 4071, Bl. 20. Eingabe an den Bundestag der Bundesrepublik Deutschland eingereicht durch Emil Scheifele v. Okt. 1949, Hervorh. i. Orig.

10 BArchK B 141 4071, Bl. 14-15. Schreiben Scheifeles an den Bundesjustizminister Dr. Thomas Dehler v. 27.10.1949.

11 BArchK B 141 4071, Bl. 16. Vermutlich wandte sich Scheifele bereits im August 1949 an Thomas Dehler, der als Oberlandesgerichtspräsident Bamberg tätig war und im Parlamentarischen Rat hochengagiert.

12 Vgl. hierzu Archiv des Liberalismus Gummersbach, Bestand Thomas Dehler, N1 387, Bl. 1-29. Schreiben Scheifeles an den Oberlandesgerichtspräsident (Bamberg?) v. 07.08.1949.

13 Archiv des Liberalismus Gummersbach, Bestand Thomas Dehler, N1 387, Bl. 1-29. Schreiben Scheifeles an den Oberlandesgerichtspräsident (Bamberg?) v. 07.08.1949.

14 Klimmer, Rudolf (1948): „Homosexualität“. In: Geist und Tat. Monatsschrift für Recht, Freiheit und Kultur, 3 Jg. H. 9, S. 406-407.

15 Deutscher Bundestag, 198. Sitzung v. 12.03.1952. Vgl. BArchK B 141 4071, Bl. 37.

16 Vgl. BArchK B 141 4071, Bl. 37.

17 Vgl. BArchK B 141 4071, Bl. 61.

18  Siehe zu Simon z. B. auch https://www.lsbttiq-bw.de/2016/09/30/ha-waisch-die-saget-halt-oifach-toni-zur-formierung-des-selbst-in-der-fotocollage-des-stuttgarter-originals-toni-simon/ Sowie Munier, Julia Noha (2021): Lebenswelten und Verfolgungsschicksale homosexueller Männer in Baden und Württemberg im 20. Jahrhundert. Kohlhammer, hier S. 153, 300, 318-320. Toni Simon begriff sich mitunter als Transvestit.

19 BArchK B 141/4072, Bl. 106/155. Eingabe von Toni Simon v. 20.07.1951. Das Inhaltsverzeichnis der Akte vermerkt fälschlicherweise Zeni Simon.

20 BArchK B 141/4072, Bl. 106/155. Eingabe von Toni Simon v. 20.07.1951.

21 BArchK B 141/4072, Bl. 106/155r. Eingabe von Toni Simon v. 20.07.1951.

22 Staatsarchiv St. Gallen (Schweiz) G 1.11.1 Ehescheidungsurteil Bezirksgericht St. Gallen (II. Abt.) betr. Scheifele Emil und Scheifele-Zürcher Luise, 1938, Bl. 2. Zu den Verurteilungen: 28. Juni 1927, Schöffengericht Berlin-Mitte, Betrug, 1 Jahr Gefängnis; 17. Januar 1929, Bezirksgericht Aarau, Vorweisung unzüchtiger Bilder einer Person unter 18 Jahren, 1 Monat Gefängnis; 5. Februar 1929, Bezirksgericht Zürich, Päderastie, 2 Monate Gefängnis. Vgl. Schweizerisches Bundesarchiv BAR, E4264#1000/842#2064*, Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Bern, d. 15.05.1931 an die Polizeiabteilung Bern zum Fall Scheifele.

23 1933 umbenannt zum „Schweizerischen Freundschafsbanner“ u. 1937 umbenannt in „Menschenrecht“.

24 Siehe z.B. auch Ulrike Böhmer (1991): „Weibliche Homosexualität im Strafrecht. Kantonale Strafgesetzgebung vor 1942“. In: Kokula, Ilse; Böhmer, Ulrike: Die Welt gehört uns doch! Zusammenschluß lesbischer Frauen in der Schweiz der 30er Jahre. Zürich: eFeF-Verl., S. 47-58. Dokumente zur Verurteilung Scheifeles sind derzeit nicht bekannt.

25 Schweizerischer Polizei-Anzeiger. 25. Jg., Januar bis Juni 1929, Herausgegeben vom Schweizerischen Zentralpolizeibureau in Bern, Nr. 93 v. 23. April 1929, S. 726-727.

26 Schweizerisches Bundesarchiv BAR, E4264#1000/842#2064*, Brief Louise Scheifeles v. 14.11.1929 an die Eidgenössische Fremdenpolizei.

27 Schweizerisches Bundesarchiv BAR, E4264#1000/842#2064*, Brief Louise Scheifeles v. v. 14.11.1929 an die Eidgenössische Fremdenpolizei.

28 Schweizerisches Bundesarchiv BAR, E4264#1000/842#2064*, Brief Louise Scheifeles v. v. 14.11.1929 an die Eidgenössische Fremdenpolizei.

29 Aeplistrasse 4, St. Gallen.

30 Staatsarchiv St. Gallen (Schweiz) A 016-38.364 Unterlagen kantonales Polizeidepartement wegen Scheifele, Emil 1938.

31 Staatsarchiv St. Gallen (Schweiz) G. 1.12.2 Strafurteil des Bezirksgerichts St. Gallen II. Abt., Sitzung v. 09.11.1938.

32 Staatsarchiv St. Gallen (Schweiz) A 016-38.364 Unterlagen kantonales Polizeidepartement wegen Scheifele, Emil 1938.

33 Staatsarchiv St. Gallen (Schweiz) A 016-38.364 Unterlagen kantonales Polizeidepartement wegen Scheifele, Emil 1938. Stadtkanzlei St. Gallen, Antrag v. 08.08.1938.

34 Stadtarchiv Stuttgart, Meldekarte von Emil Scheifele aus dem Stuttgarter Melderegister für den Zeitraum 1919-1944 sowie Stadtarchiv Stuttgart, Adressbuch der Stadt Stuttgart 1940, S. 713.

35 Stadtarchiv Stuttgart, Meldekarte von Emil Scheifele aus dem Stuttgarter Melderegister für den Zeitraum 1919-1944.

36 In Leonberg zog er 1950 dreimal um. Er lebte u.a. in der Klosterstr. 12, in der Schwabstr. 11 bei Biedermann, in der Stuttgarterstr. 13 bei Damb. 1953 zog er in den Steinbruchweg bei Aust, um 1956 nach Stuttgart zurückzugehen.

 

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