Rückblick auf eine Veranstaltungsreihe zur lesbisch-queeren Geschichte

 

Wie können wir frauenliebende Frauen in der Geschichte finden und sichtbar machen? Gab es Lesben und Queers schon in früheren Zeiten? Und was bedeutet das eigentlich: Lesbisch oder queer sein? Rund um diese Fragen fand im November in Kooperation des Projekts „LSBTTIQ in Baden und Württemberg“ und des „Bildungszentrum und Archiv zur Frauengeschichte Baden-Württemberg“ (BAF e.V.) eine Veranstaltungsreihe in Tübingen statt. In insgesamt drei Veranstaltungen haben wir uns dort mit lesbischer und queerer Geschichte beschäftigt.

Einstieg ins Thema bot der Film „Kommt Mausi raus?!“ (DE 1994), der in Zusammenarbeit mit „Gleichfilm Tübingen“ gezeigt wurde: Eine Geschichte über ein Coming Out zwischen Dorf und Großstadt in den frühen 1990er Jahren.

Ein Workshop in den Räumen des BAF bot die Möglichkeit, die Begriffe „queer“, „lesbisch“ und „Geschichte machen“ zu diskutieren. […]

Abschluss der Reihe war eine Podiumsdiskussion, bei der Referent_innen aus Wissenschaft und Bewegung über die Relevanz, die Schwierigkeiten und die Freuden der lesbischen und queeren Geschichte diskutierten. In der gemütlichen Wohnzimmeratmosphäre der Tübinger Kneipe Ribinimgurumu diskutierten Christine Schäfer vom forum Homosexualitäten München, Lisa Haug vom Netzwerk LSBTTIQ Baden-Württemberg, die freie Historikerin Ilona Scheidle, sowie Kirsten Plötz vom Projekt „LSBTTIQ in Baden und Württemberg“.

Die Diskussion umfasste nicht allein die Forschungs- und Vermittlungsarbeit der Podiumsteilnehmer_innen, sondern diese verknüpften ihre historische Arbeit immer wieder mit der eigenen Biographie und den eigenen politischen Erfahrungen innerhalb der Frauen-/Lesben- und queeren Bewegung. So betonte Kirsten Plötz gleich zu Beginn, dass ihr Interesse für Geschichte sich zu großen Teilen daraus speise, dass durch Geschichte die Veränderbarkeit von (Macht-)Verhältnissen aufgezeigt werde. Auch Ilona Scheidle knüpfte die Arbeit als Historikerin eng an die Analyse von Herrschaftsstrukturen. Der feministische Blick helfe dabei, Ein- und Ausschlussmechanismen erkennen und benennen zu können.

Eine der wichtigsten Punkte, darin waren sich alle Diskutantinnen einig, besteht (noch immer) darin, lesbische Geschichte überhaupt erst sichtbar zu machen – als Frauengeschichte im Kontext der „allgemeinen“ Geschichtsschreibung, innerhalb der Homosexualitäten- und queeren Geschichte, die allzu oft eine reine Geschichte männlicher Homosexualität sei, und auch im Kontext der Frauenbewegung, in der lesbische Frauen um Sichtbarkeit ringen mussten und müssen.

Doch was ist eigentlich lesbische Geschichte und wo finden wir lesbische Frauen in der Geschichte? Christine Schäfer erzählte am Beispiel ihrer eigenen politischen Biographie von der Genese des Begriffs der Lesbe oder des lesbisch-Seins davon, dass es lange Zeit keine Begrifflichkeit für Frauen liebende Frauen gegeben und das Wort „lesbisch“ für viele Frauen nicht als Identifikation getaugt habe. Erst im Kontext der Frauenbewegung der 1970er und 1980er Jahre habe der Begriff der Lesbe für sie eine politische Kontur und Bedeutung erhalten – nicht nur als Beschreibung des eigenen Begehrens, sondern eben auch als politische Praxis und Haltung.

Demgegenüber steht seit den 1990ern der Queer-Begriff, der, so Lisa Haug, jegliches Handeln bezeichne, das sich gegen die Normativität von Heterosexualität und Zweigeschlechtlichkeit richtet. Damit seien queere Positionen nicht an sexuelle oder geschlechtliche Identitäten gebunden, sondern beschrieben eine Praxis und seien an politische Positionierungen,  oftmals auch Aktivismus gebunden.

Der Zusammenhang zum Aktivismus durchzog die gesamte Diskussion. Die Diskutant_innen zeigten auf, dass die eigene Zugehörigkeit zur Frauen-/Lesben- oder queeren Bewegung kein Hindernis für die Erforschung der „eigenen“ Bewegungsgeschichte sein muss. Eine völlig neutrale Geschichtsschreibung, so Kirsten Plötz, gebe es ohnehin nicht, wichtiger sei vielmehr die Reflexion der eigenen Position. Ilona Scheidle zeigte die Chancen auf, die in der Historisierung der eigenen Bewegung liegen: gerade die Methode der Oral History benötige das Vertrauen zwischen Interviewten und Interviewer_innen. Auf diese Weise würden nicht nur Erzählungen, sondern auch Quellen „von Frauenhand zu Frauenhand“ weitergegeben.

Die Diskussion, die immer wieder Bezüge zum eigenen Aktivismus und den eigenen Erfahrungen der vier Diskutant_innen herstellte, zeigte auch auf, dass die so oft beschworene Generationenkluft innerhalb der feministischen und queeren Bewegungen womöglich gar nicht so groß ist. Die Diskutantinnen waren sich sowohl über Generationsgrenzen als auch über Wissenschafts- und Aktivismus-Grenzen hinweg in vielen Punkten recht einig. Als eines der wichtigsten Desiderate für die Forschung und Geschichtsvermittlung blieben die Sichtbarmachung von lesbischer und queerer Geschichte und die Hinterfragung andronormativer Geschichtserzählungen. Die Veranstaltungsreihe selbst kann als ein erfolgreicher Schritt auf diesem Weg gelten.

Nina Reusch